Der Protektor von Calderon
sieben besten«, widersprach Maximus ernst. »Und sie hat schon mehr Leute getötet als beliebige zwei andere von der Liste zusammen.«
Isana schüttelte den Kopf. »Was hast du dir dabei gedacht, sie so zu beleidigen?«
»Ich habe mir gedacht, ich müsste mir Zeit verschaffen, bis Max und sein Bruder hier eintreffen«, sagte Tavi. Er grinste jungenhaft. »Ganz locker, Tantchen. Ich habe die Sache die ganze Zeit über im Griff gehabt.«
Max schnaubte.
»Und sie ist in Diensten des Senators unterwegs?«, wollte Isana wissen.
»Vermutlich«, sagte Tavi.
»Warum hast du ihr die Schriftstücke nicht einfach gegeben?«
Tavi seufzte und begann, das Papier vom Boden aufzuheben. »In den Berichten wird Arnos vieles lesen, was er gar nicht wissen möchte. Ich glaube, er wollte sie einfach nur beseitigen.« Er stapelte sie zu einem ordentlichen Haufen und wandte sich an Maximus. »Bring die hier bitte zu Ehren. Ich möchte Abschriften für Ritter Cyril, den Senator und die Tribune Strategica aller drei Legionen und außerdem für den Befehlshaber der städtischen Militia.«
Max knurrte. »Die Stabssitzung?«
»Ja. Sobald alle die Berichte kennen, kann Arnos sie nicht mehr aus der Welt schaffen.«
Isana blinzelte ihn an. »Was kann denn so wichtig daran sein?«
Tavi strich sich mit den Fingern durch das kurzgeschorene Haar. »Nach dem, was wir bislang herausgefunden haben, kann ich mir recht gut vorstellen, was die Canim vorhaben. Wenn wir die Sache richtig handhaben, können wir den Krieg vielleicht beenden.«
»Wie?«
»Tavi«, sagte Maximus warnend.
Tavi blinzelte ihn an. »Ja?«
Maximus starrte ihn an, schüttelte den Kopf und warf Isana einen entschuldigenden Blick zu. »Diese Sache ist sehr wichtig. Ich weiß, sie gehört zur Familie, aber sie ist auch eine Vasallin von Fürstin Aquitania. Möglicherweise ist es besser, in ihrem Beisein nicht darüber zu sprechen.« Er sah Isana erneut an. »Leider ist es sehr vertraulich.«
»Bei den Krähen«, schnaubte Tavi. »Max, sie ist meine Tante. Wenn du deiner Familie nicht mehr trauen kannst, wem dann überhaupt noch?«
Es war, als würde Isana das Schuldgefühl wie eine Lanze in den Leib gebohrt. Die Bemerkung war so typisch für Tavi. Er war mit ihr und Bernard aufgewachsen, weit draußen im Land an der Grenze, wo Plackerei und Gefahren ein viel größeres Vertrauen zwischen den Menschen entstehen ließen als in den dicht besiedelten Gegenden von Alera. Soweit es Tavi betraf, unterstützten sich Familienmitglieder im Calderon-Tal, verteidigten sich gegenseitig, halfen sich … und sagten einander stets die Wahrheit. Daran glaubte er.
Oh, es würde schmerzen, wenn Isana diesen Glauben erschütterte. Es würde ihnen beiden unerträgliche Schmerzen bereiten.
»Ist schon in Ordnung«, sagte sie rasch. »Ich hätte die Frage gar nicht stellen sollen. Natürlich ist es besser, vorsichtig zu sein.«
Tavi blickte sie forschend an, zuckte jedoch schließlich mit den Schultern. »Beeil dich, Max. Wir haben nicht viel Zeit.«
Maximus schlug sich mit der Faust auf die Brust, nickte Isana zu und sah sie entschuldigend an, ehe er den Raum verließ.
Tavi erhob sich und runzelte nachdenklich die Stirn. »Tut mir leid, wenn ich unser Treffen so abrupt beenden muss, Tantchen, aber …«
»Aber sicher doch«, sagte sie leise. »Ich habe auch Pflichten, um die ich mich kümmern sollte.«
Tavi lächelte sie dankbar an. »Essen wir heute Abend zusammen?«
»Das wäre schön.«
Plötzlich blinzelte Tavi. »Ach«, sagte er, »ich kann schon noch ein paar Minuten erübrigen. Du wolltest mir doch noch etwas erzählen.«
Sie brachte es nicht übers Herz. Sie brachte es einfach nicht übers Herz, ihm so wehzutun.
Wenn du deiner Familie nicht mehr trauen kannst, wem dann überhaupt noch?
»Es war nicht so wichtig«, log sie. »Das kann warten.«
6
»Also gut, Hauptmann«, sagte Ritter Cyril. Er verzog das Gesicht und rutschte vorsichtig auf seinem Stuhl zur Seite, um einen bequemeren Winkel für sein Metallbein zu finden, das er als Ersatz für sein eigenes unterhalb des Knies trug. »Wenn du so weit bist, dann schildere uns doch, was du in Erfahrung gebracht hast.«
Tavi nickte und trat auf das kleine Podest am Kopf des Sitzungsraums. Obwohl die Würdenträger bereits gegangen waren, war der Raum noch immer voll, und zwar wegen der Offiziere der beiden Legionen der Senatsgarde und der Ersten Aleranischen. Abgesehen von Max, Crassus und ein oder zwei anderen Tribunen der
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