Der Protektor von Calderon
Elementarkräften gelernt hatte, wurden die beiden in seiner Vorstellung lediglich zu den zwei ersten Zielen, mit denen er sich befassen müsste, falls die Dinge sich zuspitzen würden.
Als Arnos, begleitet von den anderen Singulares, aus der Kutsche stieg, schloss sich Tavi ihm an. Seine Eskorte wurde von dem selbstbewussten Zug überrascht und eilte ihm hinterher, eher wie Diener denn wie Bewacher.
»Senator«, murmelte Tavi und nickte dem Zenturio von Arnos’ Leibwache höflich zu. »Mir scheint, es wäre eine gewisse gegenseitige Gefälligkeit notwendig.«
Arnos sah ihn kurz an, und Tavi stellte sich vor, wie der Mann hin und her gerissen war, ob er sein freundliches Äußeres wahren oder seinen Singulares befehlen sollte, seinen Hauptmann bewusstlos zu schlagen. »Dir steht es nicht zu, Forderungen zu stellen.«
»Ich stelle gar keine Forderungen«, erwiderte Tavi. »Ich möchte ja nur klarstellen, wie recht du hast. Ich bin besiegt und politisch tot.«
Arnos starrte ihn an, während sie die Treppe zu dem Haus hinaufstiegen, das er für sich beschlagnahmt hatte, und er kniff misstrauisch die Augen zusammen. »Worauf willst du hinaus?«
»Die Bewohner von Othos«, antwortete Tavi. »Du hast bekommen, was du willst. Es gibt keinen Grund, diese Hinrichtungen tatsächlich durchführen zu lassen.«
»Ach, ich weiß nicht«, sagte Arnos im Plauderton. »Es würde für die Zukunft vielleicht helfen, wenn man hier ein Exempel statuiert. Das Schicksal von Othos würde andere Städte und Dörfer vielleicht zu mehr Widerstand gegen den Feind anregen.«
»Oder dazu, sich gegen dich zu wenden.«
Arnos zuckte mit den Schultern. »Die Freien hier draußen haben nicht die Macht, unseren Truppen Schaden zuzufügen. Sie verfügen über so gut wie keine Elementarkräfte.« Arnos lächelte Tavi eisig an. »Kannst du dir vorstellen, wie das ist? Scipio?«
Tavi betrachtete den Mann aufmerksam. Sein Aufenthalt bei
der Ersten Aleranischen als Kursor und Spion der Krone hätte niemals so lange dauern sollen. Bevor er hier zum Dienst angetreten war, hatten viele Menschen in der Hauptstadt sein Gesicht gesehen, und früher oder später musste jemand die außergewöhnliche Ähnlichkeit zwischen Rufus Scipio und Tavi von Calderon auffallen.
Arnos war ein Geschöpf der Fürstin Aquitania. Aus dem Stegreif fiel ihm niemand sonst ein, der einerseits in den Besitz dieses Wissens gelangen könnte und andererseits über Beweggründe verfügte, es mit Arnos zu teilen. Sicher, es war nur eine Vermutung, aber Tavi hätte darauf schwören mögen.
Für die unmittelbare Zukunft spielte es allerdings keine große Rolle, wer Arnos dieses Wissen zugespielt hatte - sondern nur, dass er es wusste und auf diese Weise Tavis Gönner treffen wollte, indem er Tavi Schaden zufügte. »Du hast bekommen, was du wolltest. Diese Menschen haben dir nichts getan, Senator.«
»Sie haben mir auch nicht geholfen. Ich bin ihnen nichts schuldig.«
»Und das genügt dir als Grund, um sie zu ermorden?«
Arnos schüttelte den Kopf. »Wir befinden uns im Krieg. Die Unschuldigen sterben. Sie sterben in Schlachten, bei Bränden, sie verhungern oder sie fallen Krankheiten zum Opfer. Das ist unvermeidlich. Kein Kommandant, der seinen Rang verdient hat, lässt sich im Denken von solchen Umständen ablenken.«
»Ach«, murmelte Tavi. »Menschlichkeit lenkt wirklich sehr ab.«
Arnos brüllte vor Lachen. »Bitte. Dein Herz blutet nicht mehr als meins. Wie viele Tränen hast du für die Offiziere vergossen, deren Tod du deinen Posten zu verdanken hast? Wie viele Männer hast du selbst in den Tod geschickt? Wie viele Leichen Unschuldiger hast du während deines Aufenthalts hier schon gesehen - und wie lange ist es her, seit dir von ihrem Anblick übel geworden ist?«
Plötzlich loderte in Tavi sengender Zorn über Arnos’ Worte auf, und doch unterdrückte er ihn, wenn auch nur unter Schwierigkeiten. In den zwei Jahren unter seinem Befehl waren Hunderte
von Männern auf dem Schlachtfeld gefallen, und viele andere hatten ein Leid ertragen müssen, wie er es sich vor einigen Jahren nicht hätte vorstellen können.
»Du bist keinen Deut besser als ich, Scipio, oder Tavi von Calderon, oder wer auch immer du glaubst zu sein. Du dienst nur einem anderen Herrn.«
Tavi betrachtete den Mann unablässig mit gerunzelter Stirn. Arnos war überaus gelassen und sprach, sofern Tavi sich nicht irrte, offen und ehrlich.
Wie konnte ein gesunder Mensch so gefühllos sein? Das Blut der
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