Der Puls von Jandur
um ihnen die Barcas abzunehmen, die Wachen am Tor stießen die Flügel auf. Ein Mann erschien auf der Treppe.
Der Hausmeister? Türsteher? Matteos Gedanken waren wie eingerostet. Er brauchte einige Sekunden, bis er zu dem Schluss kam, dass ein Mann dieser Position wohl kaum in feine Seide gekleidet wäre. Auffällig waren sein violetter Umhang und die eigenartig spitz zulaufenden Schuhe. Das gewellte Haar hatte er mit einer Art Gel gebändigt. Pomade nannte man das, fiel es Matteo ein.
»Kanzler Gearwin«, löste Reylan das Rätsel. »Welch Ehre, dass Ihr mich persönlich empfangt.« Seine Miene strafte seine Worte Lügen. Er blickte drein, als wollte er seinem Gegenüber jedes fetttriefende Haar einzeln ausreißen.
Gearwin neigte den Kopf. »Immer wieder gern, Marschall Reylan.« In seiner Stimme vibrierte Verachtung. Ihre Abneigung beruhte auf Gegenseitigkeit. »Ich hatte schon nicht mehr mit Eurem Eintreffen gerechnet. Was hat Euch aufgehalten?«
»Ein Kampf hier, eine Schlacht da. Ihr wisst schon, Kanzler – die Arbeit.«
»Wie ich sehe, wart Ihr erfolgreich.« Gearwin lächelte Matteo zu, falsch und süßlich. »Willkommen zu Hause, Prinz … Khor.«
Matteo starrte ihn einfach nur an.
»Oh!« Gearwin hatte Lith entdeckt. Flink stieg er die Stufen herab. »Was bringt Ihr uns da Hübsches? Eine Squirra!« Er packte Lith am Kinn und begutachtete sie wie eine Ware. Sie schüttelte seine Hand ab, da zog er ihr mit einem Ruck das Tuch vom Kopf und ließ es zu Boden fallen. »Und schon erprobt. Vortrefflich! Sieht gesund und kräftig aus. Wir nehmen sie.« Er winkte die Torwachen herbei. »Bringen Sie die Squirra in den Tempel.«
»Nichts da!« Reylan stellte sich den Männern in den Weg. »Die Squirra und ich haben eine Abmachung, über die ich Ihre Majestät in Kenntnis setzen muss.«
Gearwin verschlug es die Sprache. »Wie bitte?«, fragte er nach einigen Sekunden fassungslosen Schweigens. »Wollt Ihr mich auf den Arm nehmen?«
»Nur ein kleiner Handel.«
»Ihr macht einen Handel mit einer Squirra? «
»Das geht Euch nichts an«, brummte Reylan. »Wenn Ihr wohl die Güte hättet, uns zur Kaiserin zu bringen? Lasst sie besser nicht noch länger auf ihren Sohn warten.«
»Ihre kaiserliche Hoheit ist nicht zugegen, Marschall. Sie wohnt einer Zeremonie bei. Sie wird Euch am Abend eine Audienz gewähren. Oder morgen.«
»Nein, Kanzler. Sofort. Diese Angelegenheit duldet keinen Aufschub.«
Gearwin ignorierte ihn. »Mein Prinz, erlaubt mir, Euch in Eure Gemächer zu führen.«
Matteo machte einen Schritt zurück. Er hatte nicht vor, mit diesem Widerling in irgendwelche Gemächer zu gehen. So erschöpft er auch war, er wollte zu Dylora. Und zwar jetzt.
Reylan war sichtlich bemüht, seine Wut zu zügeln. »Ich habe die Anweisung, den jungen Prinzen persönlich zu überstellen«, presste er zwischen den Zähnen hervor.
»Wie ich schon sagte, Ihre Majestät …«
Reylan packte den Kanzler am Kragen. »Vielleicht habe ich mich nicht deutlich genug ausgedrückt. Ich bin ein Krieger, kein Redner. Daher noch einmal, extra für Euch: Ihr bringt uns jetzt zur Kaiserin! Auf der Stelle!«
»Aber sicher«, stöhnte Gearwin und fuchtelte mit der Hand in Richtung Hof, wo Matteo in einer Ecke ein kleines Tor erspähte. »Folgt mir in den Tempel.«
Reylan gab ihn frei und knurrte zustimmend, dann stieß er ein Grunzen aus, das an seine Männer gerichtet war. Matteo verbiss sich das Grinsen – manchmal hatte Reylan mehr Ähnlichkeit mit einem Bären als mit einem Mann. Wie er den Kanzler behandelte, machte ihn schon fast wieder sympathisch.
Kanzler Gearwin zog ein säuerliches Gesicht, sortierte Hemdkragen und Umhang und ging voraus. Matteo drehte sich nach Lith um, die sich in Windeseile nach dem Tuch gebückt und es wieder über ihren Kopf gezogen hatte. Sie wich seinem Blick aus, ihre Unterkiefer mahlten.
Was lief hier ab?
Oh Mann, Reylan und Lith! Eine Abmachung! Er war so dicht an der Wahrheit dran wie noch nie.
»Nun kommt schon, mein Prinz.« Reylan packte Matteo am Oberarm und zerrte ihn weiter. »Oder habt Ihr Eure Meinung geändert? Heyden, Maris!« Ein Wink ging an die Angesprochenen. Sie nahmen Lith in ihre Mitte und schlossen sich an.
Der bekieste Weg zum Tempel führte durch einen Laubengang. Weiße Rosen rankten sich über ihren Köpfen und verströmten betörenden Duft. Alle paar Meter verbreiterte sich der Gang zu überdachten Pavillons. In jedem stand ein Brunnen – Quellen in den
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