Der Puls von Jandur
gerechnet ihn je wiederzusehen, und hier war er, in Gestalt eines Fremden.
Sie schwenkten nach Norden. Am Horizont wuchsen bewaldete Berge in die Höhe, rückten langsam, aber stetig näher. Sollte dies ihr Ziel sein? Lebte dort die Kaiserin?
Lith drehte sich nach ihm um. »In den Bergen werden wir Nadors Truppen entkommen!«
»Was ist in den Bergen?«
Sie grinste ihn verschmitzt an. »Meine Heimat!«
Als die Sonne am späten Nachmittag tiefer sank, war Matteo nahe daran vom Schlangenläufer zu kippen. Bisher hatte er erfolgreich gegen Hunger und Durst angekämpft, doch nun schwindelte ihn bereits vor Erschöpfung. Alles in ihm schrie nach einer Rast. Den Schlangenläufern konnte es nicht anders ergehen. Bestand nicht die Gefahr, dass sie sich bei der Landung auf ihre Reiter stürzten, Allesfresser, die sie waren?
Erleichtert registrierte er, dass sie an Höhe verloren, bis sie nur wenige Meter über den Baumwipfeln dahinglitten. Nadelbäume waren es zumeist, die am Fuße der schroffen Berghänge dicht an dicht standen und den Blick auf den Erdboden verwehrten.
Von den Soldaten des Lords hatte Matteo schon ewig nichts mehr gesehen, offenbar hatten sie ihre Spur verloren oder einfach nur aufgegeben.
»Wir landen gleich!«, rief Lith.
Die beste Nachricht seit langem.
Lith steuerte den Schlangenläufer näher an die Felswände heran. Das helle, fast weiße Gestein war durchlöchert wie Schweizer Käse. Höhlen, wohin das Auge reichte, gewiss ein Paradies für Schlangenläufer.
Sie sanken tiefer, die Echsen falteten die Flügel zusammen und gingen zum schon bekannten Flattern über, und gerade als Matteo glaubte, sein Magen würde sich umdrehen, setzten sie hart auf dem Boden auf. Seine Knochen wurden durchgeschüttelt wie ein Sack voll Wäscheklammern.
Sobald sein Schlangenläufer alle viere von sich streckte, stieg Matteo ab und lief los. Nur rasch den nötigen Abstand zum Maul gewinnen.
Weit kam er nicht. Seine Beine waren vom starren Sitzen ganz steif, er stolperte und fiel der Länge nach hin. Stöhnend rollte er herum, da war Lith schon bei ihm und half ihm auf.
»Was sollte das denn eben?«, fragte sie verdutzt.
»Die Echsen werden fressen wollen.«
Lith lachte. »Aber doch nicht dich! Du bist jetzt ihr Freund. Freunde werden nicht gefressen.«
»Wenn du es sagst …«
»Du solltest dich lieber für die Reise bedanken«, erklärte sie.
»Bedanken? Wie bedanke ich mich bei einem Schlangenläufer?«
»Wie bei einem Freund.« Lith beugte sich hinunter, strich über die Schuppenhaut ihres Reittieres und flüsterte ihm etwas zu.
»Ich spreche aber ihre Sprache nicht«, wandte Matteo ein und erntete damit ein verächtliches »Pff« von Lith. »Na schön.« Er tätschelte der Schlangenläuferdame den Kopf und deutete eine Verbeugung an. »Besten Dank, Madame.«
Die Echse zischte und Matteo fuhr zurück.
»Du hast wohl nicht viele Freunde«, stellte Lith fest.
Ein Treffer ins Schwarze. Auf Freundschaft legte er schon länger keinen Wert mehr. Irgendwann wurde man doch nur enttäuscht, genau wie von den Eltern. Beziehungen zerbrachen eben, es lohnte sich nicht, darum zu kämpfen.
»Freunde sind nicht ehrlich«, sagte er.
Sie presste die Lippen aufeinander und schwieg.
Schau an, dachte Matteo. Jetzt war sie aber schnell ruhig.
Lith stapfte ohne ein weiteres Wort davon. War das ihre Taktik, Konflikten auszuweichen? Matteo kannte ein solches Verhalten von seinen Eltern zur Genüge und es widerte ihn an. Weshalb konnten die Leute nie den Mund aufmachen?
»Ja, klar!«, rief er ihr nach. »Lass mich hier stehen, mitten in der Wildnis und mit den zwei Ungeheuern. Wir kommen schon zurecht.«
»Komm doch einfach mit.«
»Ich bin nicht dein Schoßhündchen, das dir nachdackelt! Schreib dir das hinter deine schwarzen Ohren!«
Sie erstarrte in der Bewegung.
Matteo war in Fahrt. »Mir reicht’s! Endgültig! Du glaubst, du hast mich in der Hand, ja? Dass du mit mir machen kannst, was du willst? Weil ich keinen Schimmer von diesem verkackten Land habe? Aber so läuft das nicht, Lith! So läuft das einfach nicht!«
Mit Riesenschritten kam Lith auf ihn zu. »Was hast du gerade gesagt?«
»So läuft es nicht …«
»Nein, über meine Ohren!«
Sie blieb vor ihm stehen und blickte ihn unverwandt an. Ihr Gesicht war ausdruckslos, doch in ihren Augen flackerte kalte Wut.
»Ist mir so rausgerutscht. Ich habe echt eine Stinklaune!«
Sie verabreichte ihm eine Ohrfeige, die sich gewaschen hatte.
»Au!«
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