Der Puls von Jandur
Sie hielt ihm den Trinkschlauch vor die Nase.
Seufzend setzte er sich auf und trank. Viel war nicht mehr drin. »Er ist fast leer. Haben wir noch einen?«
»Einen noch. Trink aus.«
Matteo leerte den Schlauch und gab ihn zurück. Ihre Finger berührten sich, Liths Hand war noch eine Spur kälter als seine. Falls das überhaupt möglich war.
»Herrlich«, sagte er. »Wir sitzen mitten in der Wüste, haben bloß noch einen vollen Trinkschlauch und keinen Schlangenläufer mehr. Entweder erfrieren wir heute Nacht oder wir verdursten morgen früh.«
»Wir sollten schlafen.«
Matteo wollte noch etwas erwidern, seinem Ärger weiter Luft machen, sie beschimpfen oder – noch besser – kräftig schütteln, dann ließ er es bleiben. Es änderte nichts an ihrer Lage. So tief wie möglich grub er sich in den Sand und schloss die Augen.
Lith legte sich neben ihn, darauf bedacht, genügend Abstand zu halten.
So müde er war, so sehr er es auch versuchte, er konnte nicht einschlafen. Ihm war so verflucht kalt. Er wälzte sich von einer Seite auf die andere, knetete seine Finger, bewegte die Zehen in den Stiefeln, spannte die Muskeln an. Es nutzte rein gar nichts. An Liths unregelmäßigen Atemzügen merkte er, dass sie ebenfalls wach war.
Ein komisches Geräusch drang zu ihm herüber. Unregelmäßiges Klappern, ganz leise nur. Was konnte das sein? Einige Sekunden rätselte er darüber nach, bis ihm klar wurde, dass es Liths Zähne sein mussten.
Sein nächster Gedanke war so abwegig, dass er ihn erst gar nicht zulassen wollte. Er schob ihn beiseite, aber er kam wieder und rumorte so lange in seinem Kopf, bis er sich aufraffte und die Hand auf ihre Schulter legte. Mädchen hin oder her, was war schon dabei.
»Komm her.«
»W… was?«
»Komm, leg dich zu mir. Wir müssen uns gegenseitig wärmen.«
»N… nein.«
»Nun mach schon«, grummelte Matteo. »Mir ist genauso kalt. Vielleicht hilft es ein bisschen. Ich werde dich auch nicht begrapschen, versprochen.«
Lith schickte ihm ein ersticktes »Danke, verzichte«, rutschte dann doch zu ihm und kuschelte sich mit dem Rücken an seine Brust. Matteo presste sich an sie und umfasste ihre Hände an ihrem Bauch. Sie schlotterte vor Kälte und er hielt sie fester, um dem Zittern Einhalt zu gebieten.
Löffelchenstellung , schoss es ihm durch den Kopf. Aber als ihre Körperwärme auf ihn übergriff, erschien es ihm wieder so natürlich sie auf diese Weise zu halten, dass sich seine dummen Gedanken auf einen Schlag verflüchtigten.
Schlafen konnte er trotzdem nicht.
Sie auch nicht.
»Vorhin im Wasser …«, flüsterte Lith irgendwann, »ich wollte einfach sterben. Aber du … warum hast du …?«
Matteo schwieg.
»Warum? Wo ich doch so ein Miststück bin?«
»Selbst ein Miststück verdient es nicht, in einem Fluss zu ersaufen.« Er lachte leise. »In den Tränen der Toten.«
»Du glaubst es nicht, doch ich habe sie gespürt. Die Toten, ihr Elend. Da waren ihre Schreie in meinem Kopf und … ich konnte nicht weiterschwimmen.« Lith schluchzte auf. »Ich ging einfach unter.«
Sie bebte jetzt wieder und er merkte, dass sie weinte.
Unbeholfen streichelte Matteo ihre Schulter. Du meine Güte, auch das noch! Er war nicht sonderlich gut im Trösten.
»Hey, du lebst doch«, murmelte er, weil ihm sonst nichts Sinnvolles einfiel. »Weißt du, ich dachte, ich schaffe es nicht. Dieses Biest von einer Echse flog einfach geradeaus weiter und ich wusste nicht, was ich tun sollte.«
»Und dann?«, schniefte Lith.
»Keine Ahnung. Es passierte von allein. Da kam dieser Lichtstrahl aus meinem Bauch. Mein Puls. Scheiße, tat das weh. Aber ich konnte den Schlangenläufer lenken. Das war so was von abgefahren.«
Er machte einen tiefen Atemzug, ihr Haar kitzelte an seiner Nase und er musste niesen.
»Dein Puls ist sehr mächtig.«
»Was meinst du damit?«
»Was du zu Wege gebracht hast, kann nicht jeder. Eigentlich niemand.«
»Ach? Wirklich?«
»Wirklich.« Er hörte ihr Lächeln. »Du bist der Lichtpuls. In dir stecken besondere Kräfte. Wenn du lernst, damit umzugehen, wirst du unbesiegbar sein. Du wirst über Leben und Tod herrschen.«
Matteo keuchte auf. »Aber das will ich nicht.«
»Ich weiß«, sagte sie leise. »Und es tut mir leid. Du bist nur meinetwegen hier.«
»Warum hast du das getan, Lith?«, fragte er nach einer kurzen Pause. »Warum hast du mich nach Jandur geholt? Wenn Nador der Lügner ist, wie du behauptest, weshalb hast du ihm geholfen?«
»Ich musste.«
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