Der Puls von Jandur
Als hätte er nicht schon genug Probleme.
Matteo krempelte die Ärmel auf – noch mehr Stiche. An seinen Beinen kribbelte es. Leicht panisch zog er sich den Stiefel vom Fuß und schrie auf. Dicht über seinem Knöchel hatte sich ein schwarzes Insekt mit silbergrauen Flügeln in seine Haut gebohrt. Fast zur Hälfte war es darin verschwunden. Das war ja ekelhaft! Er schnippte die Fliege mit dem Finger weg, und der längliche Insektenkörper riss in zwei Teile. Ein dunkler Punkt verblieb in seiner Haut. Aus dem umgedrehten Stiefel purzelten zwei weitere Tierchen und ein drittes krabbelte sein Bein hoch.
Matteo sprang auf, schlüpfte auch aus dem anderen Stiefel, dann aus den Hosen, aus der Weste und dem Hemd, bis er splitternackt auf der Sanddüne herumhüpfte und die Biester von seinem Körper fegte. Während er die Kleidung ausschüttelte, zählte er die roten Flecken: Er war voll davon und sie waren überall. Seine Haut biss höllisch, am liebsten hätte er in einer Tour gekratzt.
Fluchend zog er sich wieder an und machte sich auf die Suche nach Lith.
Draußen war es noch heißer. Vierzig Grad? Oder gar mehr? Die Sonne stand hoch, es musste fast Mittag sein. Matteo beschattete die Augen und schaute sich um.
Vor dem Haus breitete sich endlose, flache Wüstenlandschaft aus. Gelber Sand, graues Geröll, nirgendwo ein Baum, kein Busch, ja nicht einmal ein Grashalm. Nichts. Und keine Lith. Er war der einzige Mensch auf diesem gottverlassenen Erdboden.
Er drehte sich um sich selbst. Links und rechts reihte sich eine Steinruine an die andere. Die verfallenen Häuser schmiegten sich an die Felsen, als würden sie Schutz bieten, dabei waren sie keine fünfzehn Meter hoch. Wie kam man überhaupt auf die Idee, sich hier niederzulassen? Gab es denn Wasser in diesem Nest? Und wovon hatten die Menschen gelebt?
Apropos Wasser! Er hatte entsetzlichen Durst. Die Zunge klebte ihm am Gaumen und da war ein dicker, schmerzhafter Kloß in seiner Kehle.
»Lith!«, schrie er. Er hatte ein Echo erwartet, doch die Felsen schluckten seinen Schrei. »Lith, wo bist du?«
Benommen stolperte Matteo vorwärts, an der Häuserzeile entlang, und er erkannte erst nach einem guten Stück, dass er sich auf einer Art Straße bewegte. Stellenweise war sie vom Sand überspült worden und er stiefelte über Dünen. Dann wieder lag sie frei und er konnte die weiße, festgestampfte Schotterpiste sehen, in die sich Spuren von Wagenrädern gegraben hatten.
Schwindel überfiel ihn. Er taumelte bis zu einer Mauer, setzte sich in einen winzigen Schattenzipfel und wartete. Irgendwann musste Lith ja doch wiederkommen. Sie würde ihn wohl kaum hier allein gelassen haben, ohne Wasser, ohne Essen. Ihn, in den sie sich verliebt hatte.
Viel später schrak er hoch, weil ihn jemand rüttelte.
»Matteo!«
Lith! Oh, Gott sei Dank! Verwirrt blinzelte er ins Sonnenlicht. Hatte er geschlafen?
»Wo warst du?« Er brachte die Lippen nur mit Mühe auseinander.
»Den Schlangenläufer suchen. Und Wasser.«
Ihr Gesicht war übersät mit roten Flecken, die Augen waren beinahe zugeschwollen von den vielen Insektenbissen. Ihm schwante, dass er nicht viel besser aussah.
»Erfolg gehabt?«
»Teilweise.« Sie drückte ihm den Trinkschlauch in die Hand. »Wasser ja, Schlangenläufer nein.«
Wie wunderbar das Wasser schmeckte! Frisch und kühl, er wollte gar nicht mehr aufhören.
»Trink ruhig alles«, sagte sie auf seinen fragenden Blick. »Ich gehe nachfüllen, der Brunnen ist nicht weit.«
Er trank und begleitete sie zum Brunnen, wo sie an der quietschenden Winde einen Eimer Wasser aus dem Schacht zogen. Lith füllte den Trinkschlauch und danach kühlten sie beide ihre Gesichter. Fast hatte es den Anschein, als wären die Pusteln noch größer geworden.
»Was waren das für Tiere?«, wollte Matteo wissen. Er musste sich sehr zusammenreißen, um nicht über seine Haut zu rubbeln. »Ich hatte sie überall, unter meiner Hose, in meinen Stiefeln.«
»Ja, ich auch. Keine Ahnung, ehrlich. Ich dachte zuerst an Sandasseln, aber die sind eigentlich harmlos.«
»Und diese Fliegen, denkst du, sind nicht harmlos?«
»Ich weiß auch nicht. Fühlst du dich gut?«
»Nein. Ziemlich matsch.«
»Eben. Ich glaube, meine Haut platzt bald auf.« Sie holte tief Luft. »Wir sollten zusehen, dass wir hier wegkommen. Raus aus der Wüste, meine ich.«
Ärger regte sich in Matteo. »Du wolltest doch hierher.«
Lith stieß ein lautes Lachen aus. »Wollen? Bestimmt nicht. Wir mussten hier
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