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Der Puls von Jandur

Der Puls von Jandur

Titel: Der Puls von Jandur Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mara Lang
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erwiderte sie den Kuss. Er schmeckte die Tränen auf ihren Lippen, das Salz, und ein klein wenig von dem, was sie so gut vor ihm verborgen hielt – Verzweiflung. Sie litt. Litt ganz schrecklich. Wir sterben , hatte sie gesagt. Wir.
    »Fünf Tage«, wisperte sie wenig später, als er mit dem Finger die Tränen von ihren Wangen wischte. »In fünf Tagen sind wir in Wonhális.«
    Fünf Tage also. Das kam ihm unendlich lang vor. In fünf Tagen konnte viel passieren … Über diesem Gedanken fielen ihm die Augen zu.
    Er lag in der Wüste und konnte sich nicht rühren. Die Sonne brannte auf ihn herab und der Sand reflektierte die Hitze. Schweißtropfen sammelten sich auf seiner Stirn, rannen über die Schläfen in sein Haar.
    Er wurde hier geröstet, er musste aufstehen, rennen. Musste weg.
    Zuerst wollte er die Hand heben. Als das nicht gelang, ein Bein. Irgendetwas klebte unter seinem Körper. Eine zähe Masse. Wie Teer. Er wollte den Kopf drehen und nachsehen, was ihn da fesselte, aber es war sinnlos. Jeder Versuch zu entkommen misslang.
    Dann fiel ein Schatten über ihn und dämpfte die Glut. Er atmete durch. Ein Mann beugte sich zu ihm hinunter. Es war Lord Nador.
    »Ich wusste, ich finde dich«, sagte er. »Mein Sohn.«
    Nador zog ein Messer hervor. Es hatte eine lange, breite Klinge, in der sich Matteos Gesicht spiegelte. Da waren Falten auf seiner Haut. Viele Falten. Er sah aus wie ein alter Mann. Das war seltsam.
    Lord Nador zog den Arm in weitem Bogen durch und schnitt sich mit dem Messer die Kehle auf. Das Blut spritzte hervor, eine Kaskade ergoss sich auf Matteo, rot und warm.
    »Nein«, wisperte er. Dabei wollte er schreien, ganz laut. Vor Angst und vor Schmerz. Doch er hatte keine Kraft dafür. So blieb es beim Flüstern. »Nein, nicht.«
    Nador lächelte, während das Blut aus seinem Hals quoll. Mehr und mehr, es bildete eine Pfütze, dann einen See. Es überspülte Matteos Körper, löste die klebrigen Fäden, die ihn gefangen hielten. Endlich waren seine Arme frei, seine Beine auch, und er begann zu strampeln. Doch der Sog zog ihn nach unten, bis das Blut über seinem Kopf zusammenschlug. Das Letzte, was er sah, war das Gesicht seines Vaters.
    Er sank, stürzte, fiel …
    Feuchtigkeit drang in seine Kleider. Blut? Matteo fuhr hoch, sein Herz trommelte wie verrückt. Ein Traum … es war ein Traum.
    Nur ein Traum.
    Morgendlicher Nebel lag über den Wiesen, färbte sie einheitlich graublau und dämpfte jedes Geräusch. Selbst die Luft fühlte sich watteweich an.
    Lith saß am Bach, den Rücken zu ihm gewandt. Die Füße im Wasser. Nackt. Nein, halbnackt. Die Hose hatte sie anbehalten.
    Im ersten Moment wollte er sich räuspern. Sich bemerkbar machen. Oder lautstark gähnen, damit sie gewarnt war. Er machte nichts.
    Sie begann sich zu waschen und Matteo schaute schnell weg. Links von ihm grasten die Barcas, friedlich und hoffentlich ausgeruht. Das Pochen in seinem Arm erinnerte ihn an Liths Nägel. Die Wunde war gestern neu aufgerissen, das Blut hatte seinen Hemdsärmel durchtränkt. Eine wulstige Kruste hatte sich gebildet. Er ahnte, dass es darunter weit schlimmer aussah.
    Warum hatte er sie geküsst? Das war unlogisch, nein, absolut schwachsinnig. Er konnte sie doch gar nicht ausstehen, sie brachte ihn zur Weißglut. Ja, manchmal hasste er sie sogar. Sie gab nichts von sich preis, führte ihn in die Irre, wo es nur ging. War kalt und abweisend und undurchschaubar. Beantwortete jede seiner Fragen mit einer Gegenfrage. Ausflüchte, Beschimpfungen, Schläge – zwischen ihnen hatte noch kein normales Gespräch stattgefunden, jeder Versuch endete in einem Desaster. Und sie log, da war er sich mittlerweile ganz sicher. Also warum zum Teufel hatte er sich zu diesem Kuss hinreißen lassen? Es gab keinen vernünftigen Grund.
    Und sie? Was empfand sie für ihn? Verliebt? So ein Unsinn! Vermutlich war auch das ein Schwindel.
    Das Plätschern hatte aufgehört. Sie hatte die Arme seitlich aufgestützt und ließ sich trocknen. Sie trug keine Handschuhe und wieder erwachte in ihm das Bedürfnis, ihre Fascia zu sehen. Zu berühren. In seinen Fingern kribbelte es.
    Vollidiot!, schimpfte er sich in Gedanken. Lass dich nicht täuschen. Sie ist und bleibt eine falsche Schlange.
    Auf ihrer dunklen Haut glitzerten die Wassertropfen wie winzige Perlen. Matteo überraschte sich dabei, wie er ihren Rücken mit Blicken abtastete. Vom Nacken abwärts bis hinunter zu ihrem Hosenbund, zu ihrer schmalen Taille. Sie wirkte so zart und

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