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Der Puls von Jandur

Der Puls von Jandur

Titel: Der Puls von Jandur Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mara Lang
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hin setzte sich der Menschenstrom in Bewegung. Außerordentlich diszipliniert, wie Matteo bemerkte. Nur an den Seiten wurde gedrängelt und geschubst, dennoch ging es bei weitem gesitteter zu, als er erwartet hatte. Kein Schreien und Schimpfen, keine Streitereien, nicht ein lautes Wort fiel. Wenn er da so an den Massenauflauf bei dem Musikfestival dachte, das er im Sommer besucht hatte …
    Aduka hatte Recht behalten: Wer in den Tempel kommen wollte, musste in der Mitte bleiben. Dort war alles im Fluss.
    Das Tor schluckte eine ganze Menge Menschen. Wie der Rachen eines Ungeheuers. Wie viele waren es schon? Fünfzig? Hundert? Noch mehr?
    Ganz unvermittelt brach das Trommeln ab und Matteo erlebte die nächste Überraschung. Die Leute erstarrten in der Sekunde, als wäre ihre Batterie ausgefallen. Ein Haufen stillgelegter Duracell-Häschen. Es war gespenstisch.
    Die beiden Quellbrüder am Tor winkten noch vier, fünf Personen weiter, die bereits im Eingangsbereich angelangt waren, dann schlossen sie die Türflügel.
    Gespräche brandeten auf, auch die Leute auf dem Podium beredeten den Einzug , wie sie es nannten. Wen sie hatten hineingehen sehen, wer es nicht geschafft hatte, wer die Erlösung dringend notwendig hätte, wer bereits seit vielen Jahren darauf wartete und wann sie es selbst versuchen wollten. Niemand verlor ein Wort darüber, dass man hinter den Tempelmauern fünf Todeskandidaten auswählen würde. Niemand äußerte Zweifel an den Methoden der Quellbruderschaft. Niemand stellte diese Art der Selbstopferung in Frage.
    Sie warteten. Aduka schwieg und Matteo verfiel ins Grübeln. Die Squirra hatte ihm genau geschildert, wie die Zeremonie ablief und ihm geraten, sich unter einer Sitzbank im Saal zu verstecken. Sofort nach dem Reinkommen, noch während die Leute sich ihre Plätze suchten. Da falle das im allgemeinen Trubel nicht auf. Keinesfalls, wirklich keinesfalls, dürfe er sich einer Prüfung unterziehen. Beydur würde den Lichtpuls sofort erkennen und ihn auswählen. Und dann könne ihm niemand mehr helfen.
    Das klang sehr mystisch und Matteo brütete eine ganze Weile darüber nach. War es denn noch nie vorgekommen, dass es sich jemand anders überlegte und doch nicht erlöst werden wollte? Angenommen Beydur – oder Lith – wählte ihn aus. Wie würden die Quellbrüder reagieren, wenn er sich dagegen wehrte? Würden Sie ihn festnehmen? Auf den Wagen schleifen? Mitten durch die staunende Menschenmenge hindurch? Nein, das wollte er lieber nicht riskieren.
    Es dauerte eine gefühlte Ewigkeit, bis die Trommel ertönte und sich das Tor wieder öffnete. Matteo sprang aus dem Schneidersitz auf.
    Zuerst geschah gar nichts. Die Leute auf dem Platz waren allesamt verstummt und warteten gespannt.
    »Jetzt pass auf«, raunte Aduka neben ihm. »Hör hin. Hör genau hin.«
    Matteo streifte Aduka mit einem erstaunten Blick. Worauf sollte er hören? Auf die Trommel? Nein, der Quellbruder beendete seine Darbietung mit einem einzelnen donnernden Schlag. Dann wurde es totenstill. Matteo hielt den Atem an.
    Im Eingang zum Tempel erschien ein sonderbares Wesen, gute zwei Meter fünfzig, wenn nicht noch größer. Was war das? Ein Mensch? Ein Tier? Nichts was Matteo je gesehen hatte, war damit vergleichbar.
    Seine Haut war grau und runzelig wie die eines Elefanten und es hatte keine Haare. Tiefblaue Katzenaugen beherrschten das flache Gesicht und schickten ihr leuchtendes Blinken in die Menge. Die Nase war nur durch zwei kleine Löcher angedeutet, dafür war der Mund breit und die Lippen wulstig. Die Arme waren im Vergleich zum Körper relativ kurz und anstelle von Händen waren da zwei starre Klauen – wie Schnäbel sahen sie aus.
    Ganz langsam glitt (denn von Gehen konnte man nicht sprechen) das Wesen dahin. Die Leute wichen respektvoll zur Seite, eine breite Gasse bildete sich.
    »Das ist eine Nymure«, sagte Aduka. »Sie ist ihre Gefangene.«
    Die Nymure war in ein bodenlanges Flatterkleid gehüllt, das so gar nicht zu ihrem plumpen Körper passen wollte. Wolkenweiß war es und ärmellos. Eine silberne Kette umfasste ihre Taille. Schräg hinter der Nymure gingen zwei Quellbrüder, die die Kettenenden wie eine Schleppe hinterhertrugen. Zwerge, die einen Riesen bewachten – es war lachhaft zu glauben, dass sie die Nymure halten könnten, wenn sie beschloss, sich loszureißen. Weshalb tat sie es nicht?
    Matteo kramte in seinem Hirn nach Sebastjáns Erklärung: Nymuren werden Hunderte von Jahren alt und können sich

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