Der Puppen-Galgen
leichten Stiche, als hätten Nadeln in ihre Haut gestochen. Es war ein Schmerz, nur nicht mit einem normalen zu vergleichen, denn sie empfand ihn als wunderbar und süß…
Schmerzliche Wonne…
Sie schloß die Augen.
Melle dämmerte dahin.
Ihr Körper war so leicht geworden, und sie spürte nur an einer Stelle sehr deutlich, daß er überhaupt noch existierte.
Das war der Ort, wo kalte Totenlippen und scharfe Zähne ihren Hals berührten und eine Wunde gerissen hatten.
Blut strömte hervor.
Zwei kleine Springbrunnen entließen den Saft, auf den Will Mallmann so lange gewartet hatte. Er spritzte in seine Kehle. Mallmann schluckte und trank ihn.
Ein köstliches Labsal. Ein Kraftspender, wie es ihn kein zweites Mal auf dieser Welt gab.
Das Blut der Menschen ernährte die Untoten und gab ihnen die Macht, auch weiterhin am Leben zu bleiben.
Dracula II war zufrieden.
Er saugte sein Opfer blutleer…
***
Eine Bühne. Ein Galgen, an dem sechs Schlingen hingen, von denen eine nur besetzt war. Die Puppe hing dort starr. Kein Lufthauch bewegte den Körper. Helles Licht fiel aus den Öffnungen der Decke in weißen Schleiern. Es sorgte für eine Aufhellung der pechschwarzen Dunkelheit und gab ihr eine graue Farbe.
Dracula II war verschwunden. Er hatte sich in die Tiefe der Finsternis zurückgezogen und alles so gelassen, wie es war.
Und doch gab es eine Veränderung.
Unter dem Galgen lag eine Gestalt.
Völlig regungslos. Nichts bewegte sich an der Frau. Starrer konnte kein Mensch mehr sein.
Eine Tote mit sehr dunklen, lockigen Haaren, die der Puppe glich.
Es war Melle Fenton, die so starr auf dem Boden lag und ausgesaugt worden war.
Kein Laut durchbrach die Stille. Sie hatte sich in diesen Mauern verewigt wie in einem gewaltigen Sarg oder in einer übergroßen, unterirdischen Gruft.
Durch das Kellertheater wehte der Atem des Todes. Der Hauch hatte die dunklen Sphären seiner eigenen Welt verlassen und hier eine neue Heimat gefunden.
Zurückgelassen hatte er einen schwachen Blutgeruch…
Die Gestalt auf der Bühne wirkte selbst wie eine Dekoration. Sie war mit dem Abschlußbild eines Trauerspiels oder eines Dramas zu vergleichen, in dem es kein Happy-End gab.
Aber hier schloß sich kein Vorhang. Hier ging das Stück einfach weiter, als hätte es nur für eine gewisse Zeit eine Pause eingelegt. Noch geschah nichts, aber die Pause war genau dann vorbei, als die rechte Schulter der Frau zuckte.
Sie erwachte.
Melle Fenton tauchte aus den Tiefen dieser dunklen und für sie neuen Welt wieder hoch an die Oberfläche und hinein in das neue Bewußtsein, das von der Gier bestimmt wurde.
Melle Fenton war wieder da. Das Drama wurde fortgesetzt. Ein neuer Akt war eingeläutet worden, aber es gab nur eine Hauptperson, die darin die tragende Rolle spielte.
Zunächst…
Melle wälzte sich herum. Ein dumpfer Laut entstand, als sie auf den Rücken fiel. Der Körper war noch steif, als wäre ein Mensch aus einem tiefen Schlaf erwacht.
Aber Melle Fenton war kein Mensch mehr, auch wenn sie sich äußerlich nicht verändert hatte. Ihr Gesicht war gleichgeblieben, ihr Körper, ihre Kleidung.
Zumindest beim ersten Hinschauen.
Wer allerdings suchte, der entdeckte schon die kleinen Veränderungen.
An der linken Halsseite waren die Wundmale der beiden Vampirzähne deutlich auf der Haut zu erkennen.
Unterhalb der Löcher waren zwei dunkle Blutfäden zu sehen, die dort endeten, wo der Stoff des weißen Kleids begann. Sie hatten sich da hineingesaugt und ebenfalls ihre roten Spuren hinterlassen.
Irielle öffnete den Mund.
Aber sie atmete nicht.
Sie brauchte es nicht mehr in ihrem neuen Leben.
Noch blieb sie steif liegen. Die Arme an den Körper gelegt, und sie war dann damit beschäftigt, die Augen sehr langsam zu öffnen. Ihr Blick fiel nach oben, auch in das weißliche Licht hinein, das sie schon störte. Sie entdeckte über sich den hängenden Körper, aber das Gesicht zeigte keine Reaktion. Irielle Fenton kam mit ihrer neuen Lage noch nicht zurecht. Sie mußte sich erst daran gewöhnen, bevor sie den Schritt in das andere Leben trat.
Kein Atem, kein Geräusch. Sie war trotz der Stille um sie herum nicht zu hören.
Aber in ihrem Innern tat sich etwas. Da baute sich ein Gefühl auf, das sie nicht kannte. Es war ein leichtes Brausen, das in ihren Ohren nachklang.
Sie merkte, wie sich in ihrem Innern etwas bewegte, wie es sich nach vorn drückte, wie es allmählich immer mehr anschwoll, den Kopf erreichte und dann
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