Der Puppen-Galgen
Gebilde schwang zurück, dann wieder nach vorn, und die Vampirin mußte ausweichen, um nicht erwischt zu werden.
Sie trat zur Seite. Das Lecken des alten Bluts hatte ihre wahre Gier leider nicht sättigen können. Sie brauchte etwas anderes, um satt zu werden. Melle Fenton folgte den Regeln des Vampirdaseins, das sie Dracula II verdankte.
Sie sah ihren Mentor nicht. Aber er war da. Er hielt sich nur gut versteckt.
Aus diesem Versteck hervor hatte er seinen neuen Schützling beobachten können, ohne selbst gesehen zu werden, da ihn die Dunkelheit wie ein Mantel schützte.
Mallmann sah Melle über die Bühne torkeln. In ihrem weißen Kleid und mit ihren unsicheren Bewegungen glich sie der Figur der Lucia di Lammermoor, die in den Wahnsinn getrieben worden war und sich bei ihrer Arie ähnlich bewegen mußte.
Manchmal ließ Melle die Wut auch an der hängenden Puppe aus. Dann rammte sie die Faust gegen den Körper, der hochschwang und wieder zurückkehrte. Sie war wütend. Der Hunger bedrückte sie und machte sie noch unberechenbarer.
Mallmann kannte dies. Er tat noch nichts und beobachtete Melle nur. Er hatte sie bewußt ausgesucht, denn dankbare Menschen gab es nur wenige. Vor allen Dingen sollten sie ihm gegenüber eine gewisse Dankbarkeit zeigen. Um das zu schaffen, mußten sie einfach in seinen Bann geraten. Er wollte sie nicht noch länger auf die Folter spannen.
Ohne daß die Frau es bemerkte, löste sich Mallmann aus seiner Deckung und betrat die Bühne aus dem düsteren Hintergrund hervor.
Er war nicht zu hören. Geisterhaft leise schlich er an die Frau mit dem hellen Kleid heran. Sie tanzte im staubig wirkenden Licht, und auch sie hatte sich bei ihrer Aktion mit Blut beschmiert. Es klebte auf ihrer Kleidung wie dunkle Rostflecken.
Die Sinne der Untoten waren geschärft worden. Plötzlich unterbrach sie ihren Gang, als hätte man ihr einen Befehl erteilt. Sie drehte sich um.
Mallmann trat vor.
Melle Fenton hatte sich schon im Sprung befunden, als sie den Vampir mit dem blutigen D auf der Stirn entdeckte, der ins Licht trat. Er sah aus wie immer, aber in diesem Augenblick hatte er die Lippen zu einem breiten Lächeln verzogen, als wollte er Melle in seiner eigenen Welt willkommen heißen. Seine dunklen Augen wurden von Lichtreflexen getroffen, und sie glitzerten wie geschliffenes Glas. Er blieb stehen.
Auch Melle Fenton bewegte sich nicht. Sie wußte nicht, wie sie sich ihrem Herrn und Meister gegenüber verhalten sollte. Es war so etwas wie Demut in ihrer Haltung zu erkennen, denn er hatte sie zu dieser neuen Gestalt gemacht und ihr auch ein entsprechendes Leben gegeben.
Mallmann blieb stehen. Noch etwas außerhalb des Lichts, so daß er mehr wie ein Schatten aussah. Auf seinem Gesicht verteilten sich Helligkeit und Schatten, wobei die linke Hälfte mehr im Dunkeln blieb und die rechte bleicher hervortrat.
Er nickte ihr zu. »Ja, Melle, ich habe dich beobachtet, und ich bin zufrieden mit dir. Du bist wirklich so geworden, wie ich es mir gewünscht habe. Du gehörst jetzt zu mir. Du gehörst in mein Reich, denn durch mich hast du dein neues Leben bekommen. Ich bin dein Mentor. Ich werde dich führen. Ich bin der, dessen Gesetzen du dich zu unterwerfen hast, verstehst du?«
Sie nickte.
Mallmann deutete auf die Puppe. »Ich habe gesehen, was du mit ihr getan hast, und ich weiß, daß du nicht zufrieden sein kannst. Oder täusche ich mich da?«
»Nein.« Melle sprach zum erstenmal und wunderte sich darüber, wie glatt ihr die Worte über die Lippen flössen. »Ich bin wahrlich nicht zufrieden. Ich bin nicht satt!« kreischte sie plötzlich, drehte sich dabei und trat heftig mit dem Fuß auf. »Ich bin nicht satt. Ich kann es einfach nicht sein.«
Er nickte. »Das weiß ich. Es hätte mich gewundert, wenn du es gewesen wärst. Du brauchst frisches Blut!«
»Ja!« Die Antwort glich mehr einem Röhren. Sie kam aus tiefstem Herzen.
Mallmann wartete mit der Antwort. »Ich bin sicher, daß du in dieser Nacht noch an dein Blut herankommen wirst. Das Blut eines Menschen, einer Frau. Vielleicht auch das Blut anderer. Die Zeit ist günstig. Es wird sich alles ergeben, das kannst du mir glauben.«
»Ja, ich hoffe.«
»Du kennst dein Opfer!«
Nach dieser Behauptung zeigte sich Melle Fenton ein wenig irritiert. Sie mußte überlegen, sie schüttelte den Kopf, und Mallmann half ihr auf die Sprünge. »Du hast sie selbst in dein Haus geholt.«
»Jane Collins?«
»Wer sonst?«
Melle zitterte plötzlich,
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