Der Puppendoktor
vor. Melanie, holen Sie mir bitte einen Kaffee.«
Auch Marcel hatte schlecht geschlafen. Er hatte sich hin und her gewälzt. Jeder Atemzug von Madeleine schien zu pfeifen: »Sssschwein, Sssschwein«. Er hatte geträumt, dass ihm schwarz gekleidete Richter die Schulterstücke vom Uniformhemd rissen. Schweißgebadet, bleich und verquollen war er aufgewacht.
Beim Anziehen dachte er an das, was ihm Ramirez erzählt hatte, die Geschichten aus dem Labor, über Vivisektion und Kannibalismus.
Madeleine hatte eine grauenvolle Nacht hinter sich. Sie hatte immer wieder dasselbe Bild vor sich gesehen: Marcel mit einer anderen Frau. Dieser Lump ahnte nicht, dass sie ihn beobachtet hatte. Und zwar durch einen unvorhersehbaren Zufall.
Verärgert über ihren Schwager, einen Angeber, der ständig Streit suchte und behauptete, bei einer echten Ratatouille müsse man die Zucchini schälen, hatte sie den Besuch bei ihrer Schwester abgekürzt.
An der Zahlstelle der Autobahn hatte sie den alten blauen Express erkannt und sich zu ihm durchgeschlängelt, um dem kleinen Mann fröhlich zuzuhupen. Irgendetwas hatte sie zurückgehalten, vielleicht die Statur des Fahrers, er war zu groß. Und plötzlich hatte er sich umgedreht, und sie hatte Marcel erkannt! Fast wäre ihr das Herz stehen geblieben. Marcel auf der Autobahn, und er war nicht allein! Eine Frau reichte ihm Kleingeld, lächelte ihm zu. Gott sei Dank, waren die Kinder damit beschäftigt gewesen, sich zu zanken und zu ohrfeigen und hatten nichts bemerkt. Es stimmte also, er betrog sie! Oh, aber sie würde diesen Schurken stellen, würde ihn auf frischer Tat ertappen und ihn mit der Nase in seinen Dreck stoßen!
Erst im Morgengrauen war sie endlich eingenickt.
Nachdem sie ausgiebig weinend ihre Hausarbeit erledigt hatte und die Kinder in den Segelclub gegangen waren, war sie plötzlich allein gewesen. Der Nachmittag versprach unendlich lang zu werden. Madeleine machte sich einen Tee, sie hatte gelesen, dass warme Getränke bei Hitze besser den Durst löschten als kalte. Kaum hatte sie ihn getrunken, begann sie furchtbar zu schwitzen und stürzte sich auf die Karaffe mit eiskaltem Wasser. Die Zeit schleppte sich dahin. Als sie gegen drei Uhr zum dritten Mal den Geschirrschrank aufräumte, überkam sie eine plötzliche Wut, und sie beschloss, zu Marcel zu gehen und ihm eine Erklärung abzuverlangen. Auf der Straße könnte er sich nicht weigern, ihr zu antworten, dazu würde er viel zu sehr einen Skandal fürchten.
Sie zog sich sorgfältig an - rosafarbener, gehäkelter Bolero, Zigeunerrock und goldene, hochhackige Sandalen -, plusterte ihr rotblond gefärbtes Haar auf und schminkte sich stärker als gewöhnlich.
Der Verräter! Allein schon bei dem Gedanken geriet ihr das Blut in Wallung.
Madeleine trat hinaus in die Hitze, sie fühlte sich sehr weiblich und stark, was bei ihren üppigen Formen durchaus den Tatsachen entsprach.
Der Platz war leer: Marcel war nicht auf seinem Posten! Sie wurde blass, suchte in den umliegenden Straßen und kam in dem Moment zum Brunnen zurück, als der kleine Mann aus der Werkstatt trat.
»Tag, Madeleine, wie geht's?«
»Ich suche Marcel, hast du ihn nicht gesehen?«, erkundigte sie sich in einem so kühlen Ton, dass ihr Akzent fast pariserisch klang.
»Er ist vor einer Viertelstunde weggegangen .«
»Wohin?«
»Keine Ahnung, auf Streife sicherlich. Was ist denn los? Stimmt was nicht?«
»Und mit deinem Express stimmt alles? Salut.«
Ohne noch etwas hinzuzufügen, hatte sich Madeleine auf dem Absatz umgedreht. Sie hatte alles verstanden, sie brauchte keine weiteren Erklärungen, dieser Mistkerl lieh ihm sein Auto und sicherlich auch seine Wohnung! Ah, sie war doch nicht auf den Kopf gefallen. Na, die würden schon sehen! Innerhalb von zehn Minuten erreichte Madeleine zerzaust, schwitzend und außer Atem das Haus des kleinen Mannes. Mein Gott, war das steil! Was für eine Idee, in einem verlassenen Viertel oben auf einem Hügel zu wohnen! Sie mochte nur neue, hochmoderne Häuser mit Stahl und Glas und allem Komfort.
Sie legte eine Pause ein, um den Feind zu beobachten. Kein Geräusch drang durch die Mauern, von denen der Putz abbröckelte. Aus einem übervollen Müllsack war Gips auf die halb verwelkten Hortensien gerieselt. Die Mütze eines Gartenzwergs ragte aus einem Haufen Bauschutt. Eine wahre Müllhalde, dieser Garten! Man sah gleich, dass er allein lebte, in seinem Dreck erstickte wie alle Männer, die keine Frau hatten, die sich um
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