Der Puppendoktor
drang aus ihrer Kehle. Schwerfällig fiel sie rücklings in die offene Gefriertruhe. Der kleine Mann beugte sich lächelnd über sie. Das Blut spritzte aus dem abgetrennten Knöchel in sein Gesicht, und er leckte sich die Lippen. Madeleine spürte, dass sie verloren war, doch plötzlich erfasste sie ein unkontrollierter Hass, der unendliche Wunsch zu leben, und sie schnellte hoch wie eine Sprungfeder und stieß dem kleinen Mann mit aller Kraft die Nagelfeile in den Hals, verfehlte jedoch die Schlagader.
Er stieß ein Grunzen aus wie ein verletztes Tier, schlug wütend mit dem Hackbeil zu und schnitt ihr die Kehle durch, wie man einen Holzscheit spaltet. Er zog die Klinge aus der Wunde und schlug wieder und wieder auf den zuckenden Körper ein, die Nagelfeile steckte noch immer in seinem Hals. Als er endlich außer Atem innehielt, waren von der einst üppigen Frau nur noch zerstückeltes Fleisch und Knochen übrig.
Er zog sich mit einem Ruck die Nagelfeile aus dem Hals, Blut schoss aus der Wunde, und er lief ins Badezimmer.
Als Marcel erschöpft nach Hause kam, fand er die Kinder im Wohnzimmer. Es war ihnen gelungen, ein Pornovideo oben vom Schrank herunterzuziehen, das sie jetzt ansahen. Ohrfeigen, Schreie, Tränen.
»Wo ist eure Mutter? Herrgott noch mal, ist sie denn verrückt, euch solche Schweinereien ansehen zu lassen?«
»Und warum guckst du dir nackte Frauen an?«
»Frank, halt den Mund. Ein Freund hat sie uns geliehen. Wir haben sie nie angeschaut. Madeleine!«, brüllte er lautstark.
»Sie ist nicht da!«, brummte Frank.
»Wo ist sie?«
»Wissen wir nicht! Wir haben nicht mal mehr Cola«, quengelte Sylvie.
»Können wir uns einen Zeichentrickfilm ansehen?«, fragte Frank.
»Ja, aber haltet den Mund, Papa ist müde.«
Sogleich setzte eine Kissenschlacht ein, die fast ebensolchen Lärm verursachte wie zwei Presslufthämmer. Während er ein Aspirin schluckte, fragte sich Marcel nach dem Sinn der Fortpflanzung. Dann brüllte er los und hockte sich schließlich vor den Fernseher, Sylvie auf dem Schoß, Frank zu seinen Füßen.
Um neun Uhr abends war Madeleine noch immer nicht da. Marcel begann, sich Sorgen zu machen. Madeleines Mutter war seit fünfzehn Jahren tot. Ihr Vater, an Alzheimer erkrankt, lebte in einem Altersheim. Er rief seine Schwägerin an, die ihm erklärte, Madeleine sei schon immer etwas verrückt gewesen, was ihm nicht im Geringsten weiterhalf. Wo mochte sie nur sein? Bei einer Freundin aus dem Fitnesscenter? Bei einer dieser grässlichen Freundinnen, die ständig Marcels Leben mit »guten Ratschlägen« beeinflussen wollten? Obgleich es ihm schwer fiel, rief er alle ihre Freundinnen an. Nichts. Oder man hatte ihn angelogen.
Er sah im Kleiderschrank nach. Alles war da. Sie hatte nicht einmal ihr Beauty-Case mitgenommen. Sie hatte doch wohl keinen Liebhaber?! Gab sie sich so sehr ihrer Leidenschaft hin, dass sie die Zeit darüber vergaß? Nein, unmöglich, Madeleine war - leider - eine anständige Frau, eine vorbildliche Mutter, eine mustergültige Diktatorin. Marcel begann, sich ernsthafte Sorgen zu machen. Er rief seine Freunde an. Niemand hatte Madeleine gesehen, ausgenommen der kleine Mann. Sie hatte ihn, Marcel, nachmittags gesucht, erklärte er.
Gesucht? Warum? Gab es eine Verbindung zwischen dieser Suche und ihrem Verschwinden? Marcel ließ sich beschreiben, wie sie gekleidet gewesen war, und nachdem er die Kinder, denen er erzählt hatte, dass Madeleine eine Freundin im Krankenhaus besuchte, ins Bett gebracht hatte, rief er auf dem Revier an. Es war fast Mitternacht.
Niemand, auf den Madeleines Beschreibung zutraf, war verunglückt oder verhaftet worden.
Marcel setzte sich in einen Sessel und zündete sich eine Zigarette an. Was war nur geschehen? Nicht eine Sekunde lang dachte er daran, dass Madeleine dem Mörder zum Opfer gefallen sein könnte. Alles, was er fürchtete, war, dass sie von seinem Ausflug mit Nadja erfahren hatte. Das würde sie benutzen, um die Unterhaltszahlungen in die Höhe zu treiben.
Am Morgen musste er den Tatsachen ins Auge sehen: Madeleine war verschwunden.
Montagmorgen, 8.30 Uhr. Jean-Jean leerte seinen dritten Becher mit wässrigem Kaffee und seufzte. Dieser Idiot von Blanc hatte es geschafft, dass ihm seine Frau davongelaufen war! Das ganze Revier machte sich heimlich darüber lustig. Jean-Jean hatte dem alten Georges den Fall übergeben: reine Routine. Sichergehen, dass sie sich nicht bei einem »Freund« versteckte, die Bahnhöfe und
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