Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Der Puppengräber

Der Puppengräber

Titel: Der Puppengräber Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Petra Hammesfahr
Vom Netzwerk:
gebogenen Wimpern beschattet, darunter ein sanfter Blick. Dann fiel ihm Bruno Kleus Bemerkung ein: «Wenn er jetzt schon reihenweise Puppen vögelt   …» Geändert hätte sich wohl kaum etwas am Gerede, wenn Ursula Mohn vergewaltigt worden wäre.
    Jakob seufzte und sprach weiter: «Das ist eine Sache, die mir nicht in den Kopf will. Warum vergreift sich einer an einem Mädchen, sticht und schneidet nur blindwütig drauflos und tut ihm sonst nichts? Es ist mir schon klar, dass ein paar Leute dabei an dich denken. Aber es soll auch Ältere geben, die nicht können. Und das macht sie fuchsteufelswild. Da lassen sie ihre Wut auf so eine Art raus. Aber da muss einer doch richtigen Hass haben, wenn er ein armes Ding, das sich nicht wehren kann, so zurichtet.»
    Sie schlenderten in weitem Bogen durch die Dunkelheit zurück. Jakob hatte die Lampe neben der Haustür brennen lassen. Als er das fahle Licht wieder vor sich sah, war ihm ein wenig leichter. Er machte Abendbrot, danach saßen sie noch eine Weile in der Küche beisammen. Aber seit sie das Haus betreten hatten, war Ben wieder nur Ben. Mit sichtlicher Unruhe huschten seine Augen umher, glitten über Tisch und Schränke, über Jakobs Gesicht und immer wieder zur Tür.
    «Eine Woche höchstens», sagte Jakob. «Das hat sie versprochen. Morgen früh wird sie operiert, am Nachmittag besuchen wir sie. Da musst du aber ganz lieb sein. Und nächste Woche um die Zeit sitzen wir hier wieder zu dritt. Auch wenn sie noch nicht so kann, wie sie will, Hauptsache, sie ist wieder bei uns.»
    Kurz vor zehn brachte Jakob ihn hinauf, steckte ihn für eine halbe Stunde in die Badewanne. Auch eines der Mittel, mit denen Trude gewisse Launen bei ihmbekämpfen konnte. Und bei Jakob, der es sich für die halbe Stunde auf dem Klodeckel gemütlich machte und eine Zigarette rauchte, zeigte sich ebenfalls ein bisschen Wirkung. Anschließend frottierte er ihn trocken und veranlasste ihn zu einem glucksenden Kichern, als er mit einem Handtuchzipfel zwischen den Zehen rieb. Als er ihn endlich ins Bett brachte, war Jakob überzeugt, er habe die Situation im Griff.
    Er legte sich ebenfalls schlafen, lag aber noch eine Zeitlang wach, fragte sich, wie es Trude in diesem Augenblick ergehen mochte, und schlief darüber ein. Gegen drei erwachte er vom Schlagen einer Tür. Draußen war starker Wind aufgekommen. Was da schlug, war die Haustür, die Jakob ab- und Ben aufgeschlossen und nicht richtig hinter sich zugezogen hatte, als er das Haus verließ.
    Wie man einen Schlüssel in der Tür drehte, hatte er auf dem Lässler-Hof gelernt. Und höchstwahrscheinlich hatte er am Bruch die Verbindung zwischen blutenden Wunden und einem hellen Mercedes hergestellt, hatte zum zweitenmal erlebt, dass andere keinen Unterschied machten zwischen Mensch und Tier, dass ein Mädchen nicht mehr Wert haben konnte als ein Huhn oder eine Katze.
     
    Er war unschuldig an Ursula Mohn, unschuldig an jedem Küken, das in seiner Hand verreckte, an jeder Raupe, jedem Käfer, an jedem Leben, das zerdrückt in seinen Hosentaschen angekommen war. Schuld war nur die Kraft in seinen Fäusten, die der Kopf nicht steuern und nicht bremsen konnte, weil es keine Vorrichtung zum Steuern und Bremsen gab.
    Sein Kopf war wie ein Irrgarten, in dem niemand den richtigen Weg finden und an ein Ziel gelangen konnte. Er gewiss nicht. Er trottete nur ewig im Kreis herum,getrieben von diffusen Wünschen, Begierden und Ängsten. Zärtlichkeit, etwas anderes hatte er nie gewollt. Und bekommen hatte er sie meist nur von flaumigen Federbüscheln an der Wange, vom Kribbeln und Krabbeln der winzigen Tierchen in seiner Hand. Er war der Hüter, der Sammler, der Jäger, immer auf der Jagd nach Freude, nach Lust. Und wie oft hatte er stattdessen Schmerz erfahren.
    In der Mitte seines Irrgartens gab es einen hellen Raum – sein Gedächtnis. All die Erfahrungen, Erlebnisse und Widersprüchlichkeiten verwahrte er dort. Nichts war sortiert, aber alles war greifbar. Und alles wurde überragt vom größten Widerspruch in seinem Leben, seiner Mutter, sein Schutz und sein Untergang.
    Und nun war seine Mutter in ein Auto gestiegen, das Blut und Verderben brachte. Erschwerend kam noch hinzu, sie hatte einen Koffer bei sich gehabt. Koffer gab es bereits in dem hellen Raum. Den einen hatte Anita aus dem Haus getragen, den zweiten Bärbel. Weder die Koffer noch die Schwestern waren zurückgekommen. Nicht, dass er sie sonderlich vermisst hätte, aber sie waren weg. Mochte

Weitere Kostenlose Bücher