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Der Puppengräber

Der Puppengräber

Titel: Der Puppengräber Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Petra Hammesfahr
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schwanger, pilgerte von Arzt zu Arzt, ließ alle möglichen Untersuchungen über sich ergehen und hörte immer nur, es sei alles in Ordnung. Erich hatte sich damals geweigert, klären zu lassen, ob es eventuell an ihm lag.
    Maria vermutete, dass er diesen Test später hatte machen lassen. Da war sie allerdings schon zum zweitenmal schwanger gewesen. Aber das endete in heftigen Krämpfen, einer starken Blutung und der Notoperation. Und bevor Maria Krämpfe bekam, war sie angeblich gestürzt. An diesen Sturz hatte Antonia niemals geglaubt.
    Aus Erichs Vermutung oder Wissen resultierte die Strenge gegenüber «seiner» Tochter. Und dass ein erwachsener Mann ein junges Mädchen büßen ließ für die Seitensprünge seiner Mutter, war für Antonia nicht nachvollziehbar. Dass Erich statt auf dem Mann, der ihm Hörner aufgesetzt und auch noch Druck damit ausgeübt hatte, als es nach Bens Sturz in den Pütz um die Heimeinweisung ging, auf Ben herumhackte, verstand Antonia erst recht nicht.
    Es war Erich gewesen, der Paul veranlasst hatte, «seine beiden» zu warnen. Und das nicht erst nach Marlenes Verschwinden, sondern schon im Juni, als ihm zu Ohren kam, dass Ben sich an Annette vergriffen hatte. «Habe ich euch nicht immer gesagt, mit dem erlebt ihr noch eine böse Überraschung? Stell dir nur vor, Albert Kreßmann wäre nicht in der Nähe gewesen.»
    «Dann wäre garantiert nichts passiert», hatte Antonia ihrem Schwager geantwortet.
    «Das glaubst aber auch nur du», hatte Erich erwidert. «Er hat einen Trieb wie jeder Mann, das kannst du ihm nicht absprechen.»
    Antonia wollte Ben nichts absprechen. Natürlich hatte er einen Trieb. Aber dass er in Albert Kreßmanns Mercedes gefasst und Annettes Brüste gestreichelt hatte, während Albert ein bisschen tiefer beschäftigt gewesen war, hatte eher mit Bens Nachahmungstrieb zu tun gehabt. Antonia war überzeugt, dass Ben nicht hingefasst hätte, wären es nicht ausgerechnet Annette gewesen, die er gut kannte, und Albert, von dem er tausendmal gehört hatte: «Mach mal, Ben.»
    Paul hatte sich nicht aufraffen können, es so zu sehen. Ihm war mulmig geworden.
     
    Das alles konnte man einem dreizehnjährigen Mädchen nicht erklären, das für seinen Bruder durchs Feuer ging. Aus den wenigen Sätzen, zu denen Antonia sich hinreißen ließ, und aus den vielen, die sie verschwieg, hörte Tanja Schlösser nur heraus, dass man im Dorf einen Dummen suchte, dem man etwas in die Schuhe schieben konnte.
    Und wie Trude seit Jahren, allerdings erheblich lauter und vom Fuß unterstützt, der einmal kräftig auf den Boden stampfte, erklärte Tanja: «Ben ist nicht gefährlich. Ihr könnt mich eine ganze Woche mit ihm einschließen.Und wenn er drei Messer hätte, würde er mir nichts tun – und auch sonst keinem Mädchen.»
    «Das weiß ich», sagte Antonia noch einmal besänftigend.
    «Nein! Wenn du es wüsstest, würdest du nicht sagen, Mama soll ihn einsperren. Du kannst ihm gar nichts Schlimmeres antun, als ihn einzusperren. Ihr seid alle so gemein.»
    Sie rannte aus dem Zimmer. Antonia wollte sie erneut zurückhalten. Diesmal sagte Paul: «Lass sie in Ruhe. Du weißt, wie sehr sie an ihm hängt. Es ist nicht leicht für sie.»
    Es war auch für Paul nicht leicht. In all den Jahren hatte er Ben nie mit eigenen Augen etwas Böses tun sehen, hatte nur gehört, was im Dorf erzählt wurde. Meist hatte er den Kopf geschüttelt und gedacht, dass das Volk einfach einen Buhmann brauchte. Ob es nun ein Wilhelm Ahlsen war, ein Bruno Kleu oder ein Ben, spielte gar keine Rolle. Hauptsache, es war jemand da, über den man sich das Maul zerreißen, vor dem man sich gruseln konnte.
    Doch inzwischen hatte Paul einen Punkt erreicht, an dem zu viele Wenn und Aber zusammenflossen. Es waren Schatten aufgezogen. Das verhärmte Gesicht seiner Schwester, das verbitterte und in zwei Wochen um Jahre gealterte Gesicht seines Schwagers, das verlassene Zimmer seiner Nichte. Und als er seine jüngste Tochter vor einigen Tagen erneut zu ein wenig Vorsicht ermahnt hatte, hatte Britta ihm geantwortet: «Mach dir um uns keine Sorgen, Papa. Wenn wir zur Schule fahren, wartet Ben schon auf uns. Er passt auf, bis wir an der Landstraße sind. Und wenn wir zurückkommen, liegt er wieder im Mais. Was meinst du, wenn da mal einer käme, was Ben mit dem täte?»
    Dass Ben gegenüber einem Mann handgreiflich würde, der ein Mädchen bedrängte, bezweifelte Paul. Als Wachhund war er kaum zu gebrauchen. Von Albert Kreßmann

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