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Der Puppengräber

Der Puppengräber

Titel: Der Puppengräber Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Petra Hammesfahr
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Franken meinte, es sei eine göttliche Schande um Heidemarie, dass sie ins Kloster gehen musste, nachdem Paul Lässler ihr einen Tritt gegeben hatte für diese quirlige Italienerin.
    Aber Heidemarie war nichts im Vergleich mit ihrer Schwester. Nach der kleinen Christa drehten sich alle Frauen auf der Straße um. Wie ein leibhaftiges Engelchen kam sie an der Hand ihrer Mutter daher, hüpfte und jauchzte vor Lebensfreude, wenn sie mit ins Dorf genommen wurde.
    Und Schafe hatten die von Burgs damals. Und Christa, sonst ein reizendes Geschöpf, artig und kräftig, gerade gewachsen und blond, war nicht ganz richtig im Kopf. Nicht so schlimm daneben wie Ben, beileibe nicht. Sie sammelte nur die Schafsköttel vom Hof auf und steckte sie sich in den Mund, wenn niemand hinschaute.
    Aber Wilhelm Ahlsen hatte es gesehen. Er war ja damals überall und nirgendwo und immer dann, wenn man nicht mit ihm rechnete. Er konnte um Ecken sehen, hatte die Augen der gesamten Hitlerjugend zur Verfügung, seine Ohren in jeder Küche, in jeder Schlafkammer.
    Die von Burgs mussten ihre kleine Christa in ein Sanatorium geben. Anordnung von oben, von Wilhelm Ahlsen persönlich überbracht – wie all die schlechtenNachrichten damals. In dem Sanatorium sollte sich ein Professor um Christa kümmern.
    Die von Burgs, die nicht zu den Ärmsten zählten, hatten ihr jüngstes Kind hingebracht; zusammen mit ein paar Speckseiten, einem Dutzend Lammkoteletts, zwei Hühnern, Eiern, Butter und anderen Sachen, mit denen man sich einen Vorteil verschaffen konnte. Sie hatten wohl gehofft, die Speckseiten beim Professor zu lassen und Christa wieder mit heimzunehmen. Aber so einfach war das damals nicht. Ein paar Tage, hieß es, für eine gründliche Untersuchung. Und nach ein paar Tagen hieß es, Christa sei an einer Lungenentzündung verstorben. Sie war schon unter der Erde, als die von Burgs benachrichtigt wurden. So schnell ging das zu der Zeit.
    Und Wilhelm Ahlsen hatte anschließend zusammen mit dem alten Lukka, ein Rechtsanwalt wie sein Sohn Heinz und braun vom Scheitel bis zu den Fußsohlen, in Ruhpolds Schenke über die Ausrottung der Volksfeinde und die radikale Vernichtung unwerten Lebens debattiert. Während der junge Werner Ruhpold mit schneeweißem Gesicht den Tresen blank wischte.
    Werner Ruhpold war Anfang 43 schwer verwundet worden. Gerta Franken wusste das noch ganz genau. Werner hatte eine Menge Blut verloren und erholte sich nach der langen Zeit im Feldlazarett auch daheim nur langsam. Aber sein schneeweißes Gesicht bei der Debatte zwischen Wilhelm Ahlsen und dem alten Lukka musste andere Gründe haben. Einige im Dorf   – Gerta Franken gehörte dazu – erinnerten sich noch sehr gut, dass Werner Ruhpold vor Ausbruch des Krieges mit der jungen Jüdin Edith Stern verlobt gewesen war. Über die Auflösung dieser Verlobung ließ Gerta Franken sich nicht näher aus. Sie zählte lediglich mit einem Seitenblick auf Ben, der bei dieser Unterhaltung neben Trude im Gartendreckhockte, die Argumente auf, die Wilhelm Ahlsen damals in Ruhpolds Schenke vorgebracht hatte.
    Eine Nation, die sich ihren ersten Platz in der Welt hart erkämpfen musste, dürfe sich nicht damit aufhalten, Volksfeinde, Idioten und Krüppel durchzufüttern. Sich selbst zählte Wilhelm Ahlsen nicht zu den Volksfeinden, Idioten und Krüppeln, er war ein Kriegsheld und konnte auch mit einem Arm und anderthalb Beinen noch eine Menge zum Ruhme seines Führers beitragen.
    Den Blick weiterhin auf Ben gerichtet, sagte Gerta Franken: «Unter Wilhelm wäre er nicht so alt geworden. Da hättest du längst vergessen, dass du mal unglücklich gefallen bist. Da hättest du es nochmal versuchen können, und wer weiß, vielleicht wäre dabei was Gescheites rausgekommen. Sei mal ehrlich, hast du nicht auch schon so gedacht?»
    Das hatte Trude mit Sicherheit nicht. Sie hatte ja bis dahin gar nicht gewusst, welche Rolle Thea Kreßmanns Vater im Dorf gespielt hatte. An den Inkubator hatte sie hin und wieder gedacht, dass es vielleicht besser für Ben gewesen wäre, ihn nicht mit allen Mitteln durchzubringen. Aber als der Professor dann ein Heim vorschlug, sah Trude im Geist Wilhelm Ahlsen vor sich.
    Vier Jahre hatten die Alliierten Wilhelm Ahlsen aufgebrummt. Lumpige vier Jahre für die Sterns, die Goldheims, die kleine Christa von Burg und ein paar Dutzend andere, nach denen kein Hahn mehr krähte.
    «Es wird schon gehen», antwortete Trude dem Professor und schaffte es, seinen ernsten Blick zu

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