Der Puppengräber
unter dem sich ein weitläufiger Gewölbekeller befunden hatte. Ein kleiner Teil davon war unter den Trümmern immer noch zugänglich. Ben nahm das Fernglas ab und legte es an die Seite, ehe er begann, das Moos abzutasten und die Fingerkuppen unter eine Kante zu drücken. Dann zog er den ersten Brocken aus der Masse. Und noch einen. Und noch einen. Mit jedem weggenommenen Brocken wurde die Öffnung größer.
Das war wohl seine größte Not gewesen am Nachmittag, dass sie sein Loch fanden, dass sie eindrangen und ihm wegnahmen, was darin versteckt war. So wie sein Vater ihm das Glas weggenommen hatte mit all den Schätzen darin. Es war nicht zum ersten Mal geschehen, dass sein Vater etwas wegwarf. Und in dieser Hinsicht war er vielleicht sogar klüger als andere, er zog seine Lehre aus jeder Erfahrung. Was ihm zu kostbar erschien, nahm er nicht mit nach Hause. Vieles sammelte er erst einmal und überlegte gründlich, ob er es behalten oder seiner Mutter eine Freude damit machen sollte.
Er hatte ihr schon viel gebracht; einen verbeulten Aluminiumtopf, einen großen Knochen – über kleine freute sie sich nicht, eine Gabel mit verbogenen Zinken von einem uralten Essbesteck, eine kleine Tasche, Scherben und die Henkel von Tassen, die längst nicht mehr existierten. Und nicht zu vergessen den kleinen Kreis mit dem glitzernden Stein von der Art, wie Mädchen und Frauen sie sich über die Finger streiften. Da hatte sie gar nicht aufgehört, ihn zu loben.
Nachdem er den Einstieg freigelegt hatte, zwängte er sich unter einem mächtigen, querliegenden Balken durch auf die ausgetretenen Stufen. Es war stockfinster in dem alten Gewölbe. Er konnte unmöglich erkennen, ob sichetwas verändert hatte. Bei Tag fiel wenigstens ein bisschen Licht durch den Einstieg. Er hätte eine Lampe gebraucht, er hatte nur seine Hände, tastete seine Schätze ab und blieb so lange unten, bis er sich überzeugt hatte, dass alles noch so lag, wie es zuletzt gelegen hatte.
Irgendwann in der Nacht lagen auch die moosbewachsenen Steinbrocken wieder fast so wie am Nachmittag, unverfänglich und harmlos wie die Reste eines Hauses, das vor langer Zeit von einer Bombe zerstört und danach nie wieder betreten worden war.
Sieh einer an, dachte Bruno Kleu, nachdem Ben sich wieder davongemacht hatte und er die Stelle im dürftigen Schein seines Feuerzeugs betrachtete. Da soll nochmal einer sagen, der sei blöd. Das muss ihm erst mal einer nachmachen. Bruno wusste nicht, ob er verblüfft oder amüsiert sein sollte. Vom Alkohol spürte er nicht mehr viel. Er zündete sich eine Zigarette an und nahm sich vor, die Sache bei Tageslicht noch einmal genauer anzuschauen. Dann folgte er Ben, um zu sehen, ob er noch mehr Überraschungen bieten konnte.
Es trieb ihn zum Bendchen. In Begleitung seines Vaters hatte er nicht sehen können, wie groß der Schaden war. Er war sehr groß. Zertretenes Gras, abgerissene oder geknickte Zweige an den Büschen. Bis es zu dämmern begann, steckte er so viele wie möglich in den Boden. Manchmal half es, und sie blieben stehen.
Mit Einbruch der Dämmerung wurde es Zeit für ihn, einen anderen Platz aufzusuchen. Bruno Kleu machte sich auf den langen Heimweg, als er sah, dass Ben zum Anwesen seiner Eltern lief. Sein Ziel war die dunkle Scheune. Um die Maschinen, die darin abgestellt waren, machte er einen weiten Bogen, ebenso um den alten Mercedes, den Jakob vor zwei Jahren von Bruno übernommen hatte.
Er hielt sich rechts. Dort führte eine Leiter auf den Zwischenboden. Er war fast leer. Erst in einigen Wochen sollte er sich wieder mit Stroh füllen. Die großen Rollen dicht an dicht, kaum Platz dazwischen. Nur vorne bei der Tür, durch die das Stroh auf den Hof geworfen wurde, musste ein knapper Meter für ihn frei bleiben. Dafür sorgte Jakob, der wusste, wie gerne sein Sohn auf diesem Beobachtungsposten lag. Was er beobachtete, wusste Jakob allerdings nicht.
Ben schlich mit eingezogenem Kopf bis zur Tür, drückte sie auf, setzte das Fernglas an und schaute zum Lässler-Hof hinüber. Trotz der Entfernung konnte er im ersten fahlen Tageslicht deutlich das Wohnhaus und den langgezogenen Schweinestall erkennen. Auf eine eigene Scheune hatte Paul Lässler verzichtet, als er vor Jahren den Hof in die Felder verlegte, dafür war das Wohnhaus umso prächtiger geraten.
Bei Tageslicht konnte Ben von diesem Platz mit dem Fernglas das flammende Rot der Begonien sehen, die den Balkon säumten. Und die beiden Mädchen. In den letzten
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