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Der Puppengräber

Der Puppengräber

Titel: Der Puppengräber Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Petra Hammesfahr
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war. Er steckte es in die Hosentasche, obwohl er es nicht brauchte, wenn es draußen hell war.
    Dann stieg er die Leiter hinunter und steuerte durch die halbdunkle Scheune auf das sonnenhelle Viereck des Tores zu. Als er das Tor erreichte, sah er seinen Vater aus dem Haus kommen. Jakob kam ihm entgegen, stellte sich breitbeinig in den Weg, spreizte die Arme nach beiden Seiten und befahl: «Geh ins Haus, Ben. Mutter wartet mit dem Frühstück.»
    Jakob war immer noch verärgert, jetzt vielleicht mehr als zuvor, weil er sich für einen Feigling hielt. Weil er vor der Auseinandersetzung mit Trude geflohen war und sich gleichzeitig sagen musste, es wäre eine unbefriedigende Lösung, Ben mit irgendeinem Gift vollzustopfen, nur damit sich niemand das Maul über ihn zerriss. Als Vater sollte man mehr Mumm in den Knochen haben und sich vor den Sohn stellen können.
    Ben stockte, senkte den Kopf, trottete unter Jakobs strengem Blick auf die Haustür zu. Doch bevor er sie erreichte, war Jakob in der Scheune verschwunden. Und Ben trabte los, rannte, so schnell ihn seine stämmigen Beine trugen, vom Haus weg. Er blieb nicht auf dem Weg, wo Jakob ihn hätte einholen und aufhalten können. Wie in der Nacht hetzte er quer über einen Kartoffelacker und ein Stück mit Zuckerrüben dem Feldweg entgegen. Noch ehe Jakob den alten Mercedes aus der Scheune gefahren und im Hof gewendet hatte, erreichte Ben den breiten Weg.
    Als Jakob bei der Abzweigung abbremste, sah er ihn ineiniger Entfernung rennen. Die Mädchen auf den Fahrrädern kamen ihm entgegen. Jakob bog ebenfalls nach links. Aus seinem Ärger wurde Wut, dass Ben erneut nicht gehorcht hatte. Er näherte sich rasch, sah ihn mit beiden Armen winken. Das Mädchen mit der Sonnenbrille hielt ihr Rad vor ihm an.
    «Du bist spät dran», grüßte sie. «Hast du verpennt, du Waldmensch?»
    Sie waren noch zu weit von Jakob weg, und mit dem Brummen des Dieselmotors hätte er ohnehin nicht verstanden, was gesprochen wurde. Er sah nur, was geschah. Ben nickte eifrig, trat einen Schritt vor und riss das dunkelhaarige Mädchen an sich. Beide Arme um den schmalen Körper geschlungen, wirbelte er es herum. Und selbst das Fahrrad, dessen Lenker das Mädchen hielt, tanzte ein wenig über dem Boden. Das Mädchen lachte mit weit zurückgelegtem Kopf, keuchte und klopfte ihm mit den Händen auf den Rücken. «Lass mich los, Bär, du zerquetschst mich.»
    Und das verstand Jakob. Er hatte die Gruppe erreicht und den Wagen angehalten. Das blonde Mädchen tätschelte Ben noch kurz auf die Schulter und drängte: «Wir müssen los, sonst kommen wir zu spät.»
    «Das meine ich aber auch», sagte Jakob.
    Sie stiegen auf, wendeten und fuhren den Weg zurück. Beide winkten noch einmal. Die mit der Sonnenbrille warf Ben eine Kusshand zu und rief: «Bis später, Bär.» Dann radelten sie hintereinander auf die Abzweigung zu und bogen nach rechts in den Weg, der zur Landstraße führte.
    Jakob wartete noch einen Augenblick, unschlüssig, ob er Ben ins Auto laden und heimfahren sollte. Er wusste, dass es einen endlosen Kampf bedeutete und er dann zu spät zur Arbeit käme. Früher war er gerne mit ihmgefahren, aber in den Mercedes stieg er nur unter erheblichem Zwang. Über den Grund hatte Jakob sich noch nie Gedanken gemacht. «Geh zurück», verlangte er.
    Diesmal gehorchte er anscheinend. Jakob fuhr weiter auf die Abzweigung zu und fühlte einen Hauch Zufriedenheit und Genugtuung. Er sah ihn, bis er abbog, im Rückspiegel kleiner werden und den Stacheldraht erreichen. Dann war der Mercedes außer Sicht, und Ben machte erneut halt. Wie sein Vater, wusste auch er von einem Grab. Es lag hinter dem Stacheldraht, und er besuchte es oft.

TRUDES BEGREIFEN
    Bald nach der ausgefallenen Zirkusvorstellung im August 80 keimte in Trude der Verdacht, dass die Gerüchte über Bruno Kleu und die junge Artistin, die im Dorf kursierten, nicht so an den Haaren herbeigezogen waren, wie man es Renate und den beiden Kindern gewünscht hätte. Aber Trude hätte nie gewagt, offen darüber zu sprechen. Nicht einmal zu Jakob verlor sie ein Wort über Bens schmutzigen Schlafanzug und die Rückschlüsse, die man aus seiner ersten Nacht im Freien ziehen musste.
    Wohin zog es ihn, wenn er entwischte? Zur Gemeindewiese.
    Wohin wollte die Artistin in der Nacht? Zur Gemeindewiese.
    Wenn nun dort etwas Schreckliches mit ihr geschehen war? Wenn Ben es gesehen hatte? Bei seinem Nachahmungstrieb konnte es verheerende Folgen haben.
    Die hatte

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