Der Puppengräber
Hanswurst aus dir machen wollen. Ein Ekel ist er. Das kommt davon, wenn einer schon in jungen Jahren so viel Geld in die Finger kriegt. Da denkt er, er kann alles kaufen. Und wer nicht nach seiner Pfeife tanzt, dem zahlt er es irgendwann heim.»
«Freund Rabenaas», sagte er, stand auf und ging zur Tür.
Trude schaute ihm mit einem schweren Seufzer nach. «Ja, Albert war immer ein Aas. Gut, dass du das begriffen hast.»
Kurz nach ihm verließ sie das Haus, bestieg ihr Fahrrad und fuhr zum Arzt. Der Blutdruck war nicht in Ordnung, das fühlte sie seit Tagen. Der Druck im Schädel, das Brausen in den Ohren, ab und zu ein Schwindelgefühlund die Angst, diese wahnsinnige Angst, die ihr das Herz abschnürte.
Im Wartezimmer des Arztes verstärkte sich die Angst noch. Obwohl sie viel zu früh war – die Sprechstunde begann erst um drei –, saßen bereits ein paar Männer und Frauen dort. Und keiner las wie sonst in den ausgelegten Illustrierten aus der Vorwoche. Es gab aktuellere Themen.
Nachdem Trude eine Viertelstunde lang den Vermutungen über Marlene Jensens Schicksal zugehört hatte, bat sie die Sprechstundenhilfe, ihr rasch den Blutdruck zu messen. Sie behauptete, Ben sei daheim eingeschlossen, er jammere gewiss schon.
Der Blutdruck war viel zu hoch. Trude musste doch auf den Arzt warten, bekam ein neues Rezept, den Rat, sich zu schonen, und viele Grüße an Jakob mit auf den Heimweg. Das Rezept bei Erich Jensen einzulösen war eine Tortur. Zum Glück war Maria nicht in der Apotheke, normalerweise betreute sie das Sortiment von kosmetischen Cremes. Erich war da, aber er saß im Hinterzimmer, schrieb etwas und hob nicht einmal den Kopf.
Annette Lässler, die bei ihrem Onkel als Apothekenhelferin beschäftigt war, nahm das Rezept entgegen und händigte Trude eine Medikamentenschachtel aus. Trude zahlte die Gebühr und machte sich auf den Heimweg.
Während sie den Feldweg entlangradelte, hatte sie im Geist die beim Bendchen herumwimmelnden Polizisten vor Augen, den Klappspaten und ein Küchenmesser, das eine Woche lang verschwunden gewesen war. Sie hörte die Stimme ihrer Mutter. «Kleine Kinder, kleine Sorgen. Große Kinder, große Sorgen.»
Früher waren es nur die Küken, eine Katze und die Puppen gewesen.
DIE APFELWIESE
Dass Trude schwieg, als im August 80 die junge Artistin Althea Belashi verschwand, ist verständlich. Sie selbst hatte nichts gesehen außer Bens Gebaren und nichts gehört außer ein paar Gerüchten und zwei neuen Worten. Und wie glaubwürdig wäre ein Schwachsinniger von gerade sieben Jahren als Zeuge gewesen?
Es gab ja auch andere Zeugen, obwohl die Aussagen von Maria Jensen und Heinz Lukka nichts beinhalteten, womit sich ein Verbrechen hätte beweisen lassen. Für einen stichhaltigen Beweis hätte man die Aussage von Gerta Franken gebraucht, und die drang damals nicht bis zur Polizei. Erich Jensen erfuhr davon in seiner Eigenschaft als Mitglied des Stadtrats und Gemeindevorstand. Doch er hatte Wichtigeres zu tun, als sich um das Gerede einer verrückten Alten zu kümmern.
Es gab in dem Jahr nur noch wenige landwirtschaftliche Betriebe im Ort. Die meisten kleinen Höfe waren aufgegeben worden, zu viel Arbeit, zu wenig Ertrag. Da waren die Angebote eine Verlockung, die am Ortsrand gelegenen Ländereien als Bauland herzugeben. Speziell die Bachstraße war betroffen, wurde lang und länger. Auf den meist großen Grundstücken entstanden stattliche Einfamilienhäuser, fast schon kleine Villen. Auch ein paar der Altbauten zwischen dem Lässler-Hof und Jakobs Anwesen hatten den Besitzer gewechselt und waren von den ziemlich betuchten neuen Eigentümern mit viel Aufwand zu wahren Schmuckstücken saniert worden.
In der Stadt Lohberg – das Dorf gehörte seit vier Jahren zur Stadt – galt die Bachstraße inzwischen als noble Adresse. Deshalb störten die Höfe von Otto Petzhold und Jakob Schlösser gewaltig. Wer wollte schon auf seinemenglischen Rasen in der Sonne liegen und von Fliegen belästigt werden, die sich zuvor in einem Kuhstall getummelt hatten? Seltsamerweise zog niemand in Betracht, dass ein paar der Fliegen auch aus dem Schweinestall von Paul Lässler kommen könnten, dessen Grundstück ebenfalls an die Bachstraße angrenzte.
Dass Otto Petzhold mit seinen fünf Kühen ein Ärgernis darstellen mochte, war noch nachvollziehbar. Seine Ausfahrt lag an der Bachstraße, seine fünfzig Morgen Land östlich vom Bendchen. Seit er denken konnte, war Otto Petzhold mit seinem Traktor
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