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Der Puppengräber

Der Puppengräber

Titel: Der Puppengräber Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Petra Hammesfahr
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die Bachstraße hinuntergefahren. Der Weg hinter den Gärten war ein kleiner Umweg, den hatte Otto nie genommen, auch mit seinen Kühen nicht. Da gab es schon mal Fladen auf der Straße. Im Gegensatz dazu benutzte Jakob grundsätzlich die rückwärtige Ausfahrt.
    Trotzdem plädierte Erich Jensen bei jeder Sitzung im Stadtrat dafür, beide Höfe umzusiedeln und den Besitzern ein großzügiges Angebot zu unterbreiten. Das stieß auf Ablehnung, speziell Heinz Lukka, der die Gegebenheiten des Ortes ebenso gut kannte wie der Apotheker, war dagegen.
    Wenn man Jakob Schlösser und Otto Petzhold finanzielle Hilfe zuteil werden ließ, konnte man bei Paul Lässler nicht nein sagen, wenn er ebenfalls einen Umzug erwog. Möglicherweise hielt dann auch Bruno Kleu die Hand auf. Und mit der Verlegung der beiden Höfe allein war das Problem Bachstraße noch nicht gelöst. Da gab es einen weiteren Schandfleck, das Grundstück von Gerta Franken.
    Es war das letzte am Ortsrand und zog sich wie Jakobs Besitz von der Bachstraße bis zum Feldweg, dementsprechend beträchtlich war sein Wert. Allein im Vorgarten, einem Gewirr aus wildem Hafer, knorrigen Rosenstöckenund ausuferndem Holunder, der regelmäßig die Blattläuse der gesamten Umgebung anzog, hätte man ein Mehrfamilienhaus mit großzügigen Außenanlagen erstellen können. Ein Mehrfamilienhaus wollte zwar niemand an dieser Stelle sehen, aber es wäre möglich gewesen. Der Garten hinter dem Haus war fast doppelt so groß und glich einem Urwald.
    Gerta Frankens Haus dagegen war wertlos, klein und windschief, zweihundert Jahre alt, aus Fachwerk erbaut. Der Lehm in den Wänden war mit der Zeit brüchig und mürbe geworden. Den ehemals schweren Balken dazwischen hatten die Holzwürmer ihren Tribut abverlangt. Es war nur eine Frage der Zeit, wann die Kate in sich zusammenfiel und man unter den Trümmern nach den Überresten von Gerta Franken suchen musste.
    Und so weit, fand Erich Jensen, sollte man es als verantwortungsbewusster Mensch nicht kommen lassen. Eine Frau wie Gerta Franken gehörte – notfalls durch eine Zwangsmaßnahme – in die Obhut der barmherzigen Schwestern des Klosters am Ort oder des Seniorenstifts in Lohberg. Schon ihr Alter rechtfertigte eine solche Maßnahme.
    Gerta Franken war Jahrgang 1891 und alleinstehend. Zu Anfang des Jahrhunderts hatte es für kurze Zeit einen Ehemann gegeben. Ein schmucker Kerl sei er gewesen, hatte Jakobs Vater einmal erzählt. Er war im Ersten Weltkrieg gefallen, 14/​18, und Gerta sei darüber halb wahnsinnig geworden. Wochenlang habe sie sich in ihrem Häuschen verkrochen, nichts gegessen, nichts getrunken, nicht gesprochen, nicht geschlafen.
    Mit den Jahren hätte Gerta auch die andere Hälfte ihres Verstandes eingebüßt, behaupteten einige. Vielleicht war es eher so, dass die alte Frau zu viel wusste. Manchmal tauchte sie in der Frühmesse auf und rief demPfarrer zu. «Schlaf nicht ein da vorne! In deinem Alter solltest du nachts schlafen. Aber da hast du garantiert wieder mit Liesel georgelt.»
    Liesel war die Haushälterin im Pfarrhaus und hatte wie ihr Dienstherr die sechzig überschritten. Vor dreißig Jahren waren sie monatelang Dorfgespräch gewesen. Damals hatte Liesel die Hebamme gebraucht, aber nicht für eine Geburt.
    Gerta Franken wusste und sprach davon, als sei es gestern gewesen. Ebenso lebhaft erinnerte sie sich an die Zeit, in der Heinz Lukka einen Schneidezahn einbüßte, der dann durch eine Krone ersetzt werden musste. Damals hatte Heinz Lukka in Ruhpolds Schenke erzählt, er sei auf dem feuchten Fußboden in seinem Badezimmer ausgerutscht und so unglücklich gegen die Kante des Waschbeckens geprallt, dass der Zahn abbrach.
    Passiert war es Anfang November 69, eine gute Woche nachdem Heinz Lukka Maria Jensen, die damals noch Lässler hieß, aus den Händen einer angeblich vermummten Gestalt befreit hatte. Seit dieser Woche erzählte Gerta Franken, es sei nicht die Kante eines Waschbeckens, sondern die Faust von Bruno Kleu gewesen, gegen die Heinz Lukka unglücklich geprallt war – zweimal – in ihrem Garten.
    Gerta Franken erzählte auch, es habe Ende Oktober 69 keinen Überfall und gewiss keine Vergewaltigung gegeben. Bruno und Maria seien auf dem Feldweg spazieren gegangen, hätten geknutscht und sich in ihren Garten verzogen. Im Gebüsch sei es dann richtig zur Sache gegangen. Gewehrt habe Maria sich nicht, nur ein bisschen gemeckert. Es sei ihr zu kalt gewesen, um sich komplett auszuziehen, wie Bruno es

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