Der Puppengräber
kräht kein Hahn danach. Ich sag ihr Bescheid, dass du sie mitnimmst.»
Es ging dann alles sehr schnell. Ehe Jakob sich versah, verstaute er den Rucksack und die Wetterjacke im Kofferraum, schaute der jungen Frau beim Einsteigen zu und setzte sich neben sie. Er ließ den alten Mercedes äußerst vorsichtig vom Parkplatz rollen. Jetzt spürte er die vier Bier doch gewaltig, und zusätzlich beschäftigten ihn die Neuigkeiten.
Dieter Kleu in Verdacht – und Albert Kreßmann. Was Trude wohl dazu sagen würde? Vermutlich beruhigte es sie. Und dann musste sich ein Ansatzpunkt für ein vernünftiges Gespräch finden lassen.
Sein Kopf schien mit Watte gefüllt, nur im Magen war es wohlig warm, und die Zunge ging ein wenig leichter als sonst. Es war nicht seine Art, Fremden neugierige Fragen zu stellen. Aber er wurde das Gefühl nicht los, die junge Frau schon einmal gesehen zu haben. Und als sie zu reden anfing, sich erkundigte, ob er Heinz Lukka kenne und ihr ein wenig über den Rechtsanwalt erzählen könne, gefiel ihm die harte und irgendwie singende Sprechweise so gut, dass er ein bisschen mehr davonhören wollte. Auch brachte ihn das zumindest vorübergehend auf andere Gedanken.
Als der Anfang gemacht war, erwies sich die junge Frau als unterhaltsam und informativ. Jakob stellte eine Frage nach der anderen. Wo sie herkomme? Ob sie Lukka überhaupt nicht kenne? Was sie denn um die Zeit von einem ihr wildfremden Menschen wolle? Warum sie Lukka nicht in seiner Kanzlei in Lohberg aufsuche? Das sei doch nicht so umständlich gewesen wie der Weg ins Dorf und zu seinem Bungalow.
Statt ihm auf der Stelle zu antworten, schaute sie ihn mit einem prüfenden Blick von der Seite an und erkundigte sich nach seinem Alter.
«Dreiundsechzig bin ich», sagte Jakob.
Und sie stellte fest, da habe er ja die schlimme Zeit miterlebt. Dann wollte sie wissen, ob er in dem Dorf geboren sei und sich an den Namen Stern erinnere.
Trotz der vier Bier auf fast nüchternen Magen, trotz des inneren Zwiespalts, der Verdachtsmomente gegen den eigenen Sohn, gegen Trude und sich selbst funkte es augenblicklich. Jakobs Kopf flog zur Seite, dass er fast das Steuer verriss, seine Augen tasteten das Profil ab, und tatsächlich, das war sie: Edith Stern, von den Toten auferstanden.
«Ich glaub nicht an Gespenster», murmelte er.
Die junge Frau lachte. Es war ein helles, singendes Lachen, das ihm ebenso gefiel wie ihre kuriose Sprechweise. Sie war kein Geist, es hatte alles eine vernünftige Erklärung. Sie war die Enkelin einer Cousine von Edith Stern und trug zum Andenken deren Namen, sprach ihn aber anders aus. In Jakobs Ohren klang es wie Idis.
Ihre Großmutter war schon Mitte der dreißiger Jahre, als sich die neue Gesinnung im Land abzeichnete, in die USA ausgewandert. Ihr Vater war später in die alte HeimatIsrael umgesiedelt. Sie selbst war vor zwei Jahren zurückgekehrt nach Idaho, weil ihr das Leben im Kibbuz und die Palästinenserpolitik der israelischen Regierung nicht behagten. «Sie sollten es besser wissen», meinte sie und erzählte weiter.
Ihre Großmutter war vor drei Monaten gestorben und hatte ein Päckchen Briefe hinterlassen. Der Absender hieß Werner Ruhpold. Er hatte sich in regelmäßigen Abständen erkundigt, ob man in Idaho immer noch nichts von seiner geliebten Edith gehört habe. Werner Ruhpolds letzter Brief war auf März 81 datiert. Er musste ihn geschrieben und zum nächsten Briefkasten gebracht haben, kurz bevor er mit einem Strick in der Hand auf den Dachboden seiner Schenke stieg.
Nachdem Edith Stern das erklärt hatte, redete sie wie ein Wasserfall. Jakob hatte in seinem wattierten Schädel Mühe, ihr zu folgen. Er fuhr langsam und mit verbissener Konzentration, damit ihm kein Wort entging, wo er doch mit Paul Lässler so häufig spekuliert hatte, wer es gewesen sein könnte.
Kreßmanns Igor! Seinen richtigen Namen konnte kein Mensch aussprechen, sodass jeder von ihm sprach wie von Lukkas Hund oder Kleus Zuchtbullen, aber so war es nie gemeint gewesen. Jakob war mit seinem Verdacht immer wieder bei Igor angekommen, aber Paul hatte es nie geglaubt. Und Paul hatte richtiggelegen mit seiner Einschätzung des gutmütigen Russen. Igor war kein Mörder, auch wenn er sich in seinem letzten Gespräch mit Werner Ruhpold so bezeichnet hatte.
Ein Zeuge war Igor gewesen, wie Paul es vermutet hatte. Igor hatte Edith aus dem Erdloch holen und in Absprache mit Richards Mutter auf den Kreßmann-Hof bringen wollen. Da wäre
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