Der Puppengräber
viel mehr Freude. Und dann laden wir alle ein, die unseren Ben mögen und nicht selbst feiern. Das wird ein schönes Fest. Dafür sorge ich.»
Am Abend schrieb Trude, allen Warnungen zum Trotz, doch noch einen gepfefferten Brief zumindest an den Bischof. Bis zum Papst ging sie nicht mehr, weil schon der Bischof sich voll und ganz hinter den Pfarrer stellte.
Es sah trotzdem danach aus, als könne es ein schöner Tag für Ben werden. Sibylle Faßbender hielt ihr Versprechen.Am Weißen Sonntag 1982 blieb das Café Rüttgers geschlossen. Es wurden nur kurz nach Mittag die vorbestellten Kuchen und Torten ausgeliefert. Und um halb drei, als die Kommunionkinder in aller Eile den köstlichen Festtagsnachtisch verschlangen, um rechtzeitig in die Dankandacht zu kommen, ging es im Café in aller Ruhe los.
Die Schwestern Rüttgers und Sibylle hatten sich jede erdenkliche Mühe gegeben. Der Gastraum war mit Papiergirlanden, Luftschlangen, Lampions und Luftballons dekoriert. All die kleinen Tische waren zu einer langen Tafel zusammengeschoben. Darauf standen Kerzen, bunte Pappteller und Becher für die Kinder, Porzellan für die Erwachsenen. Sahnetorten, Cremekuchen und Obstböden standen in der Mitte, so konnte sich jeder selbst bedienen.
Es waren alle erschienen, die man zu Bens Ehrentag eingeladen hatte: Paul und Antonia Lässler mit ihren vier Kindern, ihrer Nichte Marlene und der kleinen Tanja Schlösser, Otto und Hilde Petzhold, Renate Kleu mit Dieter und dem zweijährigen Heiko. Bruno war verhindert, er hatte dringend irgendetwas zu erledigen, was genau, wusste Renate nicht. Aber Toni und Illa von Burg waren mit ihren beiden Söhnen da, weil nicht die Gefahr bestand, dass Thea Kreßmann hereinschaute. Richard und Thea feierten zur selben Zeit den Weißen Sonntag ihres Alberts.
Anita hatte es strikt abgelehnt, am Fest teilzunehmen, und eine wichtige Arbeit für das Abitur vorgeschoben, die angeblich den ganzen Sonntag in Anspruch nehmen würde. Bärbel dagegen war gerne mitgekommen, als sie erfuhr, dass die von Burgs ihre Söhne vom Sinn der Angelegenheit überzeugt hatten.
Bärbel machte keinen Hehl daraus, dass ihr der siebzehnjährigeUwe von Burg ausnehmend gut gefiel. Leider standen ihre Chancen nicht sehr gut. Uwe wurde fast jeden Sonntag mit einem anderen Mädchen gesehen. Er konnte es sich aussuchen, tat das auch und hatte bislang Bärbels sehnsüchtige Blicke ignoriert, wenn sie sich zufällig begegnet waren.
Doch so leicht gab Bärbel sich nicht geschlagen. Da mochte Trude noch hundertmal betonen, das habe ja wohl noch etwas Zeit. Bärbel hatte an diesem Tag hoffnungsfroh das Parfüm und den Lippenstift etwas dicker aufgetragen, sodass Jakob schon meinte, nun passe ihr Gesicht zum bunten Sonntag.
Erich und Maria Jensen waren nicht eingeladen. Davon versprach sich niemand einen Vorteil für Ben. Abgesehen davon hätte Erich ohnehin nicht kommen können, er hatte etwas Wichtiges mit Parteifreunden zu besprechen. Und Maria hatte schon Wochen vorher behauptet, sie müsse dringend das Sortiment von Pflegecremes in der Apotheke umräumen, und Antonia gebeten, ihr die kleine Marlene für diesen Nachmittag abzunehmen.
Heinz Lukka hatte nicht zur Debatte gestanden, da er einen Kurzurlaub machte. Auch Gerta Franken fehlte, nahm es den Schlössers sehr übel, dass man sie ausgeschlossen hatte, und verstärkte ihre Bemühungen, vor Ben zu warnen. Einen Schlächter nannte sie ihn.
Trude hatte die alte Nachbarin mitnehmen wollen, um ihr ein für alle Mal das Maul zu stopfen. Aber Jakob war strikt dagegen gewesen, hatte etwas gemurmelt, das in Trudes Ohren wie «Ein Bekloppter am Tisch reicht völlig» geklungen und sie zu einem energisch betroffenen «Was fällt dir denn ein?» veranlasst hatte.
Nachdem alle Gäste an der Tafel Platz genommen hatten, las Trude zur Eröffnung das Schreiben des Bischofs vor. All die blumigen Erklärungen, warum einer wie Benam Weißen Sonntag nichts in der Kirche zu suchen hatte. Einige schüttelten die Köpfe. Antonia Lässler meinte, das dürfe man sich nicht bietenlassen, weder von einem alten Pfarrer noch von einem Bischof. Mensch sei Mensch, und ein leerer Kopf richte nur halb so viel Schaden an wie andere mit ihren vollen Köpfen.
Ben gab ihr mit seinem unschuldigen Betragen recht, saß artig und still auf dem Ehrenplatz am Kopfende der Tafel. Zu Anfang hatten ihn die vielen Leute irritiert. Aber nachdem jeder ihm nur freundlich zulächelte und niemand Anstalten machte, ihn zu
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