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Der purpurne Planet

Der purpurne Planet

Titel: Der purpurne Planet Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Karl-Heinz Tuschel
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bis zu hundert Kilometer am Tag zurückgelegt werden, bei Gewitter oder Platzregen vermochte man unterzukriechen, und man konnte damit auf einem Baum, falls es so etwas gab, oder einem Felsvorsprung, ja, sogar auf dem Wasser landen. Leichter Wind oder Regen störte beim Flug überhaupt nicht.
    Das jeweilige Vorauskommando würde kleine Raketen mitnehmen, die bis zu tausend Meter aufsteigen und dann einen Funkimpuls abgeben konnten, der dem Raumschiff die Richtung wies, und ein UKW-Funkfeuer, das am Landeplatz aufgestellt wurde.
    Nach einigem Zögern entschloß sich Uwe, die Braunes auf deren Drängen hin mit dem ersten Flug zu beauftragen. Er hoffte, damit vor allem Erika Gelegenheit zu geben, ein echtes und stabiles emotionales Verhältnis zu „ihrem“ Planeten zu gewinnen. Gegen Morgen des folgenden Tages erhoben sich beide wie Vögel in die Lüfte.
    Mit langsamen, kraftvollen Flügelschlägen strichen sie über das Land, das unter ihnen rot und gelb und braun schimmerte. Mit jeder Bewegung ihrer Arme fühlte Erika sich frischer, freier, stolzer. Ja, das waren die Gefühlsregungen, auf die sie gewartet hatte. Der grüne Himmel mit dem roten Ball darin – das war ihre Fahne. Der braune Fels und der goldene Sand – das war ihr Boden, den sie verwandeln würde in einen Garten. Ist das die falsche Romantik, Irina? Wenn schon – es ist meine Romantik. Ich komme spät, aber nicht zu spät, um zu den ersten zu gehören, zu den ersten, nicht in einer Schulklasse, in einem Seminar, nicht in einem Institut, einer Stadt – sondern auf einem Planeten! Und dann mußte sie plötzlich laut lachen.
    „Was ist?“ fragte Erich beunruhigt.
    „Ich habe mich eben schrecklich überheblich gefühlt!“ bekannte sie. „Aber ich bin vor Freude wie betrunken!“
    „Dann werd mal schnell wieder nüchtern“, riet Erich, „da vorn kommt nämlich ein Wetterchen, und es ist vielleicht besser, wenn uns das nicht auf der Hochebene erwischt. Komm, leg ein paar Flügelschläge zu, ich glaube, hier beginnt das Gelände schon abzufallen!“



Nach ein paar Minuten sahen sie unter sich die ersten schwarzen Vegetationsinseln, und nicht lange darauf flogen sie über einen durch keine Farbflecke unterbrochenen schwarzen Teppich. Der Himmel hatte sich schon zur Hälfte bezogen, und in der näherkommenden dunklen Wolkenwand sahen sie Blitze zucken. Leicht grollend drang der Donner durch ihre Helme ins Ohr. „Komm, wir suchen uns ein Plätzchen!“ drängte Erich. „Wie Sie meinen, Herr Blaß!“ rief Erika übermütig und setzte zum Sturzflug an. Sie hatte die Angewohnheit, wenn sie guter Laune war, ihren Mann mit den verschiedensten Abwandlungen ihres farbigen Familiennamens anzureden – je nach dem Gemütszustand, den sie ihm unterschieben wollte.
    Als sie dicht über dem Boden dahinstrichen, bemerkten sie erstaunt, daß die Vegetation hier anders war als am ersten Landeplatz. Zwar standen auch hier Gruppen von Spritzflaschen, aber zwischen ihnen lag häufig eine Art Wiese, die offenbar aus lauter kleinen Buckeln mit grasartigem Bewuchs bestand.
    Am Rande einer Spritzflaschengruppe setzten sie auf.
    Inzwischen war es noch finsterer geworden, aber es regnete noch nicht. Erich hatte seinen Helmscheinwerfer eingeschaltet und betrachtete nachdenklich die großen Pflanzen.
    „Dort im Süden wurden die Spritzflaschen allmählich größer – hier gibt es offenbar nur große.“
    „Mach mal deine Lampe aus und dreh dich um!“ flüsterte Erika erregt.
    Erich stieß einen Laut der Überraschung aus. Die „Wiese“ vor ihnen leuchtete bläulich, mit hin und her wogendem Schimmer.
    Erika faßte mit beiden Händen in eins der Büschel, drückte die etwa knöchelhohen Blätter – oder richtiger: Fäden – zwischen den Händen zusammen und ließ sie dann durch die Finger gleiten. Knatternd sprang ein kleiner Funke zwischen ihrem Handschuh und dem Büschel über, als sie losließ. „Elektrisches Gras!“ flüsterte sie.
    Da rauschte der Regen los, und im selben Augenblick war die schimmernde Pracht erloschen. „Schade!“ sagte Erika enttäuscht.
    Sie schalteten ihre Helmleuchten wieder ein. Die seltsame Wiese sah jetzt wie ein grünes, nasses Fell aus, wie lauter kleine, stillsitzende grüne Tiere mit nassem Fell. „Was hat das zu bedeuten, Herr Weiß?“ fragte Erika.
    „Ja, was hat das zu bedeuten?“ wiederholte Erich und wühlte im Boden. Dann hielt er die Hand in das Licht der Lampe.
    „Schwarzbrauner Boden“, stellte er fest.

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