Der Rabbi schoss am Donnerstag
Rotwildjagd zu gehen. Außerdem betrank er sich gelegentlich, allerdings, um fair zu sein, gewöhnlich in seiner Freizeit. Andererseits war er ein geschickter Handwerker, der gut tischlern konnte, Klempnerarbeiten verrichtete, Heizung und Klimaanlage instand hielt und etwas von Elektrizität verstand. Der Synagogenvorstand, obwohl häufig verärgert über seine Eskapaden, fand ihn jedoch im Großen und Ganzen akzeptabel. Und da sie ihm überdies keinen so hohen Lohn bezahlten, übersahen sie die Schwarzarbeiten, die er nebenher annahm.
Zumeist lief er in einem schmutzigen T-Shirt, einem mit Ölflecken übersäten Overall und mindestens einem Zweitagebart herum. Frisch rasiert, mit gekämmten Haaren und seinem ‹guten Anzug› jedoch wirkte er recht präsentabel. Zwar war er nicht groß, aber sehr kräftig gebaut und suchte einen möglichst wilden Eindruck zu machen, als wolle er alle größeren Männer warnen, dass mit ihm nicht gut Kirschen essen sei. Er hatte ein grobes, fleischiges Gesicht und kleine Augen mit halb geschlossenen Lidern, sodass es aussah, als blinzelte er in die Sonne. Seine Nase war knollig und ein bisschen schief, weil man sie ihm einmal bei einer Keilerei eingeschlagen hatte. So mochte er zwar insgesamt kein sehr ansehnliches Mannsbild sein, war aber normalerweise gutmütig und freundlich.
Als Martha Peterson ihn unten im Supermarkt traf, trug er nicht seinen guten Anzug, und auf seiner Wange prangte ein Schmierfleck; deswegen schlug sie auch seine Einladung aus, im Drugstore mit ihm ein Soda zu trinken. Als er sie um eine Verabredung bat, antwortete sie jedoch: «Na schön, ich habe heute Abend frei.»
Sein Gesicht wurde lang. «Ach, Marty! Heute ist Freitag, da haben die in der Synagoge Gottesdienst, und ich muss hinterher sauber machen. Mir wäre es morgen Abend lieber.»
Da sie es für wichtig hielt, ihren Status als kapriziöse, ja launische Gewährerin von Gunstbeweisen zu wahren, erwiderte sie hochmütig: «Tut mir Leid, aber heute ist mein einziger freier Abend.»
Und da ihm die unmittelbare Zukunft stets wichtiger war als eine Verantwortung, die ihm erst später oblag, antwortete er: «Also gut. Ich werd’s sicher einrichten können. Gegen sieben hole ich dich zu Hause ab.»
«Nein, du holst mich von der Arbeit ab.»
«Warum kann ich dich denn nicht zu Hause abholen?»
«Weil ich nicht mit dem Bus heimfahren will. Mein Wagen ist bei der Inspektion, also habe ich keine Fahrgelegenheit.»
«Ach, komm doch, Marty!»
«Kann dir das denn nicht egal sein?», erkundigte sie sich.
«Ach, weißt du, dein Chef, der alte Jordon, mit dem hatte ich mal Krach wegen einem Job, den ich für ihn ausgeführt habe, und ich hab ihm gesagt, ich würde sein Grundstück nie wieder betreten.»
«Hast du etwa Angst vor ihm?»
«Angst? Nein, aber wo ich doch gesagt habe, ich würde nie wieder …»
«Na, wenn du nicht kannst, dann lass es eben. Es gibt noch andere Fische im Meer.»
Durch seine Augenschlitze musterte er sie abschätzend. Dann fiel ihm ein, wenn er für sie so viele Opfer brachte, müsse sie sich ihm verpflichtet fühlen und ihn dafür entschädigen. «Na schön», entschied er. «Ich hole dich um sieben ab. Aber du musst fertig sein, wenn ich klingele!»
«Okay.»
15
Lawrence Gore blickte fragend auf, als Molly Mandell sein Büro betrat.
«Ich möchte Sie wirklich nicht stören, Mr. Gore, aber Mr. Jordon …»
«War er heute Morgen da?», fragte er rasch. «Hat er … hat er Sie wieder zu belästigen versucht?»
Sie errötete. «Nein, er war nicht da. Aber der Bericht …»
Er hob den Finger. «Stimmt! Der Ellsworth Jordon-Vierteljahresbericht. Ist heute fällig. Ich habe es nicht vergessen. Ich habe sogar heute Morgen schon mit ihm gesprochen.» Er lehnte sich im Drehsessel zurück. «Und er hat mich für heute Abend zum Dinner eingeladen.»
«Damit er den Bericht mit Ihnen durchgehen kann?»
«Vermutlich. Außerdem will er mir seine Peter-Archer-Suppenterrine leihen.»
«Dann hat er sich also doch entschlossen?»
«Ach, ich glaube, das wollte er von Anfang an. Es ist eben seine Art. Aber ich rief ihn heute Morgen an und sagte ihm, ich wolle die Sammlung heute Abend zum Museum bringen, das sei die letzte Gelegenheit für ihn. Also sagte er okay, ich könne sie heute Abend abholen, und dann lud er mich zum Essen ein.»
«Wie wollen Sie das Silber rüberbringen?», erkundigte sie sich neugierig.
«Mit meinem Kombiwagen.»
«Ganz allein?»
«Natürlich. Warum
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