Der Rabbi schoss am Donnerstag
wenn Herbert zuvor nach Hause kam, war alles in Ordnung. Dann würde er SIE bei ihrer Heimkehr stellen und eine Erklärung verlangen. Aber was nun, wenn SIE zuerst nach Hause kam?
Sie hörte, dass ein Wagen in die stille Wohnstraße einbog. Ihre Brust füllte sich mit Hoffnung, es sei ihr Sohn. Doch ein Blick auf die Uhr sagte ihr, dass es erst kurz nach neun war, viel zu früh für ihn, von der Synagoge heimzukommen. Es musste SIE sein, die nach Hause kam.
Eine Hand am Geländer, erklomm sie hastig die Treppe und ging zu Bett. Wenige Minuten darauf hielt ein Auto in der Einfahrt, dann hörte sie abermals Schritte auf der Treppe, und dann wurde leise die Tür zu ihrem Zimmer aufgemacht. Abermals tat sie, als schlafe sie, atmete tief und röchelnd, bis sie hörte, dass die Tür wieder zugezogen wurde und die Schritte sich über die Treppe entfernten.
20
Um den Besuch der Synagoge zu fördern, hatte Henry Maltzman der Bruderschaft vorgeschlagen, die Schirmherrschaft für die Freitagabendgottesdienste zu übernehmen.
«Was meinen Sie mit Schirmherrschaft?», erkundigte sich Howard Jonas, der Vorsitzende der Bruderschaft.
«Na ja, eben dafür werben, alle zusammentrommeln. Das Rednerpult schmücken. Den kleinen Imbiss hinterher organisieren.»
«Aber das macht doch die Schwesternschaft.»
«Natürlich. Also warum sollte die Bruderschaft zur Abwechslung nicht auch mal einen Abend übernehmen? Das gibt dem Ganzen neues Leben – Sie wissen schon, Konkurrenz.»
«Wollen Sie sagen, bei dem Imbiss sollen die Männer den Tee einschenken? Den Frauen? ‹Ein Stück Zucker oder zwei, Mrs. Feldman?› Also hören Sie! Das ist doch Weiberarbeit, Henry.»
Aber Maltzman ließ nicht locker, und so stimmten sie schließlich zu, diese Aufgabe einmal im Monat zu übernehmen, während die übrigen Freitage weiterhin der Betreuung durch die Damen überlassen blieben. Und Herb Mandell, der Vorsitzende des Ausschusses für dieses Unternehmen, stand an diesem Abend mit Howard Jonas zusammen an der Synagogentür, um die Gemeindemitglieder willkommen zu heißen. Für diesen ersten ihrer Abende hatten sie an jedermann Einladungen verschickt, auch – nachdem sie das Telefonbuch von Barnard’s Crossing zu Rate gezogen hatten – an jene Einwohner, deren Namen darauf schließen ließen, dass sie ebenfalls Juden waren. «Und wenn wir uns geirrt haben und einem Nichtjuden eine Einladung schicken und wenn der dann tatsächlich kommt, was schadet das schon? Das ist ökumenisch.»
Mandell nahm seine Pflichten sehr ernst. Wann immer der Strom der Ankommenden nachließ, eilte er in den Andachtsraum hinunter, um nachzusehen, wie weit die Vorbereitungen für den Imbiss gediehen waren. Da er der erste Tenor im Barbierquartett der Bruderschaft war, die den Kantor vor der Bundeslade beim Singen des En Kelohaynu am Schluss des Gottesdienstes begleiten sollte, machte er sich darüber hinaus Sorgen über eine leichte Heiserkeit, die er im Laufe des Nachmittags entwickelt hatte. Darum suchte er jedes Mal, wenn er hinunterging, schnell noch die Herrentoilette auf, um im Spiegel über dem Waschbecken nach Rötungen im Hals zu fahnden. Dann schüttete er aus einer Taschenpackung, die er von zu Hause mitgebracht hatte, ein bisschen Salz in einen Pappbecher mit warmem Wasser und gurgelte ein paar Sekunden.
Auf dem Podium standen zu beiden Seiten der Bundeslade je zwei thronähnliche, mit rotem Samt gepolsterte Sessel. Die beiden links waren für den Rabbi und den Vorsitzenden der Gemeinde, während die rechts gewöhnlich vom Vizevorsitzenden und vom Kantor eingenommen wurden. Um Viertel nach acht, fünfzehn Minuten vor Beginn des Gottesdienstes, waren jedoch erst drei Sessel besetzt. Henry Maltzman war noch nicht eingetroffen.
«Ich möchte wissen, wo der ist», sinnierte Howard Jonas. «Ich finde es nicht richtig, dass er noch nicht da ist.»
«Vermutlich kommt er ein bisschen später», beschwichtigte ihn Herb Mandell. «Letzte Woche hat er sich auch verspätet.»
«Hat er seinen Platz neben der Bundeslade eingenommen?»
«Nein, nein! Er hat sich in die letzte Reihe gesetzt.»
«Ich weiß nicht, aber das gefällt mir nicht», widersprach Jonas. «Offen gestanden, ich finde es empörend. Das Ganze war überhaupt seine Idee, und er hat sie uns aufgedrängt. Also könnte er wenigstens pünktlich kommen und sich überzeugen, ob alles klappt. Wahrscheinlich hat sich was Geschäftliches ergeben, und ich wäre der Letzte, der behaupten will, dass
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