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Der Rabbi schoss am Donnerstag

Der Rabbi schoss am Donnerstag

Titel: Der Rabbi schoss am Donnerstag Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Harry Kemelman
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Geschäftliches nicht vorgeht. Aber nachdem er Vorsitzender der Gemeinde ist, hat er doch gewisse Verpflichtungen. Das soll allerdings keine Kritik sein, verstehen Sie?»
    «O ja, natürlich.» Mandell wandte sich ab, um einen Neuankömmling zu begrüßen. «Hallo, Mr. Kalb! Freut mich, dass Sie kommen konnten … Nein, nein, nehmen Sie nur Platz, wo Sie wollen.»
    Jonas stieß ihn an. «Sagen Sie, Herb, was haben Sie mit Maltzman ausgemacht? Wegen der Ankündigung, dass dieser Abend unter der Schirmherrschaft der Bruderschaft steht.»
    «Na ja, er sollte kurz vor Beginn des Gottesdienstes sagen, dass ich jetzt ein paar Worte sprechen werde. Dann soll ich raufgehen und erklären, dass die Bruderschaft für diesen Abend verantwortlich ist, und alle Anwesenden willkommen heißen.»
    «Dann meine ich, Sie sollten lieber jetzt schon nach vorn gehen und den Platz neben dem Rabbi einnehmen, Herb. Denn wenn Henry nicht pünktlich kommt, wird der Rabbi sicher sofort mit dem normalen Gottesdienst beginnen.»
    «Halten Sie das für richtig?»
    «Natürlich! Die Stellung hier kann ich auch allein halten.»
    Ein wenig schüchtern schritt Herb Mandell den Mittelgang entlang und stieg die Stufen zum Podium hinauf. Auf den fragenden Blick des Rabbi antwortete er flüsternd: «Howard meinte, ich soll mich hier rauf setzen, für den Fall, dass Henry Maltzman nicht rechtzeitig kommt.»
    «Selbstverständlich!» Der Rabbi reichte ihm die Hand, um ihm den traditionellen ‹Gut Schabbes› zu wünschen. «Und wie geht’s Ihrer Mutter, Mr. Mandell?»
    «O danke, gut! Na ja, unverändert, meine ich.»
    «Sie schien recht munter zu sein, als ich sie gestern besuchte.»
    «Das ist sie meistens, tagsüber. Erst am Abend quält sie dann ihr Asthma. Dann wird sie immer müde und benommen. Wahrscheinlich von den Pillen, die sie nimmt. Sie muss gleich nach dem Essen zu Bett gehen. Wenn sie die Nacht durchschläft, ist es gut. Aber manchmal wacht sie mitten in der Nacht auf und ist richtig desorientiert. Sie kriegt keine Luft und kann ihre Medizin nicht finden. Das ist ziemlich beängstigend.»
    «Ach, wirklich? Aber wenn ich komme, scheint es ihr immer recht gut zu gehen.»
    «Wie gesagt, das ist tagsüber, und wenn sie Sie erwartet, bereitet sie sich natürlich auf Sie vor. Aber bei Nacht können wir sie niemals allein lassen. Ach übrigens, Rabbi, ich möchte Ihnen noch sagen, wie dankbar wir Ihnen sind, dass Sie sie regelmäßig besuchen.»
    Der Rabbi lächelte. «Schon gut. Sie steht auf meiner Liste für die regelmäßigen Krankenbesuche.» Er nickte zu der Uhr im Hintergrund des Betsaals hinüber. «Wollten Sie nicht noch ein paar Worte sagen, Mr. Mandell?»
    «O ja, natürlich!» Voller Hemmungen, nach außen hin jedoch resolut, trat Herb Mandell an das Lesepult vor dem Podium. Er wartete einen Moment, bis sich das Stimmengewirr legte, und hielt dann die kleine Ansprache, die er verfasst und gewissenhaft auswendig gelernt hatte. «Als Vorsitzender des Ausschusses möchte ich Sie im Namen der Synagogenbruderschaft herzlich willkommen heißen.» Er hoffe, dass jene, die zum ersten Mal hier seien, sich hier wohl fühlen und aus dem Gottesdienst neue geistige Kraft und Trost gewinnen würden. Weiterhin hoffe er, dass sie von nun an regelmäßig jeden Freitagabend kommen würden. Völlig selbstsicher geworden, wagte er sogar einen kleinen Scherz, der nicht in seinem Text stand, indem er sagte, er hoffe, man werde es nicht für männlichen Chauvinismus halten, dass die Bruderschaft nur einen Abend im Monat übernehme, während der Schwesternschaft die übrigen drei blieben. «Wir bilden uns keineswegs ein, an einem Abend dasselbe tun zu können wie sie in drei. Aber wir sind noch neu auf diesem Gebiet und möchten gern von den Schwestern lernen.» Niemand lachte, aber er glaubte hier und da ein Lächeln zu entdecken. Außerdem wäre es ja wohl unangebracht, hier im Sanktuarium zu lachen, nicht wahr?
    Er schloss mit der Ankündigung: «Der Kantor wird nun das Gebet singen: ‹Wie himmlisch sind deine Zelte, o Jacob.›»
    Hier auf dem Podium, in voller Sicht der Gemeinde, empfand er es als seine Pflicht, tiefes Interesse am Ablauf des Gottesdienstes zu bekunden, daher verfolgte er den Text in seinem Gebetbuch, fuhr mit dem Finger die Zeilen entlang, als wolle er sich vergewissern, dass der Kantor auch kein Wort ausließ. Von seinem Platz aus vermerkte er so interessante Phänomene wie etwa, dass Mr. Liston einen Tic hatte, dass Mrs. Eigner fast

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