Der Rabbi schoss am Donnerstag
Tragödie ihn daran hinderte, je wieder zu heiraten.
Nun folgte eine Reihe von Vignetten ihres herrlichen gemeinsamen Lebens, in dem es nur noch sie beide gab. Beim Frühstück – sie war überzeugt, dass sie das schaffen würde – staunte er, wie perfekt es war. «He, Ma, dieser Kaffee ist einfach himmlisch! Und dieser Haferschleim! Wie schaffst du es nur, dass er immer so glatt und sahnig wird?» Und wenn er zur Arbeit ging, küsste er sie jungenhaft und sagte: «Mach dir’s gemütlich, Liebling. Lass das Geschirr nur stehen, das spüle ich, wenn ich nach Hause komm.» Zum Dinner kochte sie dann seine Lieblingsspeisen, schwere, scharf gewürzte Gerichte, die er so gern aß, und anschließend verbrachten sie dann den Abend vor dem Fernseher oder spielten endlose Partien Scrabble, ein Spiel, das sie über alles liebte.
Sie wollte nicht, dass er sich ihr verpflichtet fühlte, und schlug ihm vor: «Geh doch mal aus und besuch deine Freunde, Herbert! Und nimm ein Mädchen mit! Es macht mir wirklich nichts aus, mal einen Abend allein zu bleiben.» Aber er antwortete dann: «Aber Ma, du bist doch meine beste Freundin!»
Oder SIE war nicht mehr da, weil er sich hatte von ihr scheiden lassen. Er hatte schließlich einsehen müssen, dass SIE seiner nicht würdig war und dass er nicht mehr mit ihr zusammen leben konnte.
Dann stellte sie sich vor, dass er sich wieder verheiratet hatte. Seine zweite Frau war eine schemenhafte Gestalt, die irgendwie einer drallen, polnischen Hausgehilfin ähnelte, die sie einmal gehabt hatte, und diese Frau gebar beinahe jedes Jahr ein Kind, ausschließlich Jungen, und alle sahen sie aus wie Herbert. Sie drängten sich um ihre Großmutter, allesamt Abbilder ihres Vaters in den verschiedenen Altersstufen, stießen und schubsten einander und kämpften um ihre Aufmerksamkeit. «Grandma, sieh mich an!» Herbert stand an ihrer Seite und schob sie gutmütig zurück. «Geht nur und spielt. Grandma ist müde.» Die Mutter tauchte nie auf in diesen Szenen. Bei so vielen Kindern hatte sie natürlich zu tun – mit Putzen, Kochen, Waschen, Spülen …
Sie hörte, wie Molly ans Telefon ging, konnte aber natürlich nicht verstehen, was SIE sagte. Sie lag im Bett und überlegte, ob sie Licht machen und eine Weile lesen oder versuchen sollte, noch einmal einzuschlafen. Oder ob sie vielleicht sogar aufstehen und sich unten eine Tasse Tee machen sollte. Bevor sie jedoch zu einem Entschluss kommen konnte, hörte sie Schritte auf der Treppe, langsame, behutsame Schritte, und dann wurde lautlos die Tür ihres Schlafzimmers geöffnet. Sie tat, als schliefe sie. Die Tür wurde wieder geschlossen, und die Schritte entfernten sich, die Treppe hinab. Bald darauf hörte sie, dass ein Auto angelassen wurde – scheinbar direkt unter ihrem Fenster. Verblüfft stieg sie aus dem Bett, ging zum Fenster und zog vorsichtig die Gardine beiseite, nur um gerade noch zu sehen, wie Mollys Coupé die Einfahrt hinunterrollte.
Wohin wollte SIE? War Herbert vielleicht etwas zugestoßen? War der Anruf von der Synagoge gekommen? Aber was sollte ihm in der Synagoge passieren?
Mrs. Mandell knipste ihre Nachttischlampe an und sah auf die Uhr. Kurz nach halb neun. Sie schlüpfte in einen Kimono und ging nach unten. Das Licht im Wohnzimmer brannte noch, also schlurfte sie in ihren Hauslatschen umher und inspizierte die Papiere auf dem Schreibtisch, an dem SIE getippt hatte. Vielleicht war SIE zur Post gefahren. Aber warum jetzt? Die nächste Post wurde erst morgen früh ausgetragen. Und etwas kaufen, wie Zigaretten oder eine Illustrierte im Drugstore, konnte SIE auch nicht mehr. Um diese Zeit hatten alle Geschäfte geschlossen. Außerdem musste es etwas mit dem Anruf zu tun haben, den SIE erhalten hatte. Vielleicht war SIE von Freunden angerufen worden – möglicherweise von einem Freund? Benutzte SIE Herberts Abwesenheit dazu, sich mit einem Liebhaber zu treffen?
Bei diesem Gedanken wurde Mrs. Mandell ganz schwach, und sie hielt es für besser, in ihr Schlafzimmer zurückzukehren, eine Pille zu nehmen und sich, falls nötig, wieder hinzulegen. Je mehr sie darüber nachdachte, desto mehr war sie von der Treulosigkeit ihrer Schwiegertochter überzeugt. Seltsamerweise hatten ihre Phantasie-Szenarios niemals dieses Ende der Ehe ihres Sohnes beinhaltet, weil … weil das ihren Sohn in ihren Augen lächerlich machte. Aber jetzt richtete sie ihre Gedanken darauf, weil es sein musste. Was sollte sie tun? Wie sollte sie vorgehen? Gewiss,
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