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Der Rabbi

Der Rabbi

Titel: Der Rabbi Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Noah Gordon
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Kunstgegenstände und besaß einen kleinen Anteil an einem Kaffeehaus in Geary Street.
    Celia, seine Frau, gab Gesangunterricht. Sie hatte schwarzes Haar und rosige Haut und trug ihr Aussehen mit hochmütiger Bewußtheit zur Schau: den Sängerinnenbusen im unförmigen Rollkragenpullover, die Hüften, die es verdienten, von blauen Pucci-Slacks umschmeichelt zu werden, die Nasenflügel, die sechshundert Dollar pro Stück wert waren.
    »Ich versuche die Gemeinde zu reorganisieren«, sagte Michael zu Oscar Sternbane. »Ich dachte, wir könnten mit einem Sonntagsfrühstück im Tempel den Anfang machen.«
    »Lassen Sie mich aufrichtig sein, Rabbi«, sagte Sternbane. »Wir sind glücklich, der Tempelgemeinde anzugehören. Unser kleiner junge kann jeden Sonntagvormittag Hebräisch und allerhand aus der Bibel lernen. Das ist sehr hübsch und gehört zur Kultur. Aber bejgl und lokschen - nein. Wir waren froh, bejgl und lokschen losgeworden zu sein, als wir aus Teaneck, New Jersey, hierherkamen.«
    »Lassen Sie das Essen einmal aus dem Spiel«, sagte Michael.
    »Die Gemeinde besteht aus Menschen. Kennen Sie die Barrons?«
    Oscar hob die Schultern, und Celia schüttelte den Kopf.
    »Ich glaube, die würden Ihnen gefallen. Die und noch andere. Die Pollicks zum Beispiel. Die Abelsons.«
    »Freddy und Jane Abelson?«
    »Oh«, sagte er erleichtert, »Sie kennen die Abelsons?« »ja«, sagte Celia.
    »Wir waren einmal bei ihnen, und sie waren einmal bei uns«, sagte Oscar. »Sie sind sehr nett, aber ... um ehrlich zu sein, Rabbi, sie sind ein bißchen spießig. Es fehlt ihnen« - er hob die Hand und drehte sie langsam, als schraubte er eine unsichtbare Glühbirne ein - »es fehlt ihnen der gewisse Schwung, den wir gern haben. Verstehen Sie?« Dann fuhr er in freundlichem Ton fort: »Schauen Sie, wir haben jeder unseren eigenen Freundeskreis,
    unsere eigenen Interessen, und die sind nun einmal nicht um den Tempel konzentriert. Aber um welche Zeit soll denn das Frühstück stattfinden? Ich werde versuchen, es einzurichten.«
    So sagte er. Aber er tat es nicht. Am ersten Sonntagvormittag erchienen schließlich acht Leute, und vier von ihnen hießen Golden. Am zweiten Sonntag kam nur mehr Phil mit seinen Söhnen. »Vielleicht könnte man es mit einer Tanzveranstaltung probieren«, regte Leslie an, nachdem er sich eines Abends, nach dem Genuß von drei Martinis vor dem Essen, endlich entschlossen hatte, mit ihr über seine Schwierigkeiten zu sprechen.
    Sie verbrachten fünf Wochen mit den Vorbereitungen: sie setzten ein Flugblatt auf, verschickten zwei Postwurfsendungen, brachten die Sache als Aufmacher in den Tempelmitteilungen, engagierten eine Combo, bestellten ein kaltes Büffet und sahen schließlich am Abend der Veranstaltung gezwungen lächelnd zu, wie ganze elf Paare sich in der geräumigen Tempelvorhalle im Tanz drehten.
    Michael setzte seine Krankenhausbesuche fort. Auch wandte er viel Zeit an die Vorbereitung seiner Predigten, als würden sich die Leute um die Plätze in seinem Tempel reißen. Dennoch blieb ihm viel freie Zeit, und da es zwei Blocks weiter eine Leihbücherei gab, löste er dort eine Karte und begann Bücher zu entlehnen. Zunächst wandte er sich wieder den Philosophen zu, doch bald ließ er sich von den Umschlägen der Romane verlocken, was schließlich zu gegenseitigem augenzwinkerndem Einverständnis mit den weiblichen Bibliotheksangestellten führte.
    Auch mit Talmud und Thora beschäftigte er sich wieder, nahm allmorgendlich einen Abschnitt daraus vor, den er allabendlich mit Leslie rekapitulierte. An den stillen Nachmittagen, in der lautlos lastenden Luft des menschenleeren Tempels, begann er mit der mystischen Theosophie der Kabbala zu experimentieren, ganz wie ein kleiner Junge die Zehenspitzen in das gefährlich tiefe Wasser taucht.
    St. Margaret, die katholische Pfarre, innerhalb derer die Kinds wohnten, baute an einer neuen Kirche. Eines Morgens, als er am Bauplatz vorbeikam, blieb Michael minutenlang in zweiter Spur stehen, um zuzusehen, wie ein Dampfbagger große Erd-und Felsbrocken aus der Baugrube förderte.
    Tag für Tag kehrte er wieder. Es wurde ihm zur Gewohnheit, sooft er Zeit hatte, an der Baustelle vorbeizukommen, um den behelmten Männern bei ihrer Arbeit zuzusehen. Es war irgendwie erholsam, auf die aus Abfallbrettern gezimmerte Absperrung gestützt, den lärmenden Maschinengiganten und der wettergegerbten Baubelegschaft zuzusehen.
    So konnte es nicht ausbleiben, daß er eines Tages den

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