Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Der Rabbi

Der Rabbi

Titel: Der Rabbi Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Noah Gordon
Vom Netzwerk:
seine Eltern, an ihren Vater.
    Aber sie hielt ihm ein Päckchen entgegen. »Ich hab's aufgemacht, obwohl es für dich war.«
    Er las den Absender: Union of American Hebrew Congregations. Das Päckchen enthielt ein hebräisches Gebetbuch, in schwarzes, abgegriffenes Steifleinen gebunden. Ein Brief lag bei in spinnenhafter, altmodischer Handschrift.
    Mein lieber Rabbi Kind, leider muß ich Ihnen mitteilen, daß Rabbi Max Gross gestorben ist. Mein geliebter Gatte ist am 17. Juli in der Synagoge, während er die minche sprach, einem Schlaganfall erlegen.
    Rabbi Gross war zeit seines Lebens ein schweigsamer Mann, aber von Ihnen hat er mir erzählt. Er hat mir einmal gesagt, daß er sich gewünscht hätte, unser Sohn, wäre er am Leben geblieben, sollte sein wie Sie - nur orthodox.
    Ich erlaube mir, Ihnen den beigeschlossenen ssider zu übersenden. Es ist jener, den er für seine täglichen Andachten verwendet hat. Ich weiß, er hätte ihn gern in Ihren Händen gesehen, und es wird mir ein Trost sein, zu wissen, daß das Gebetbuch meines Mannes weiter verwendet wird.
    Ich hoffe, daß Sie und Mrs. Kind wohlauf sind und sich wohl fühlen in einer so schönen Gegend wie Kalifornien, mit einem so wunderbaren Klima.
    Herzlichst Ihre Mrs. Leah M. Gross
     
    Sie legte ihm die Hand auf den Arm. »Michael«, sagte sie. Aber er wehrte ab, wollte nicht darüber sprechen. Er konnte nicht weinen wie Leslie. Er hatte nie über den Tod weinen können. Aber er saß den ganzen Abend allein über dem ssider, ging ihn Seite um Seite durch, im Gedenken an Max.
    Schließlich ging er zu Bett, fand aber keinen Schlaf neben seiner Frau und betete für Max Gross und für alle, die noch am Leben waren.
    Nach geraumer Zeit berührte ihn Leslie bittend an der Schulter.
    »Darling«, sagte sie. Er sah auf den Wecker. Es war zwei Uhr fünfundzwanzig.
    »Laß nur, schlaf«, sagte er beruhigend. »Wir helfen ihm nichts mehr.«
    »Darling«, sagte sie nochmals, diesmal mit einem Stöhnen.
    Er richtete sich auf. »Ach, du lieber Gott«, sagte er, aber diesmal war es kein Gebet.
    »Reg dich nicht auf«, sagte sie. »Es ist kein Grund dazu.«
    »Sind es die Wehen?«
    »Ich glaube, jetzt ist es soweit.«
    »Ist es schlimm?« fragte er und zog schon die Hosen an. »Ich glaube, es sind erst die Vorwehen.«
    »Wie oft?«
    »Zuerst alle vierzig Minuten. Jetzt schon alle zwanzig.«
    Er rief Dr. Lubowitz an, trug dann ihren Koffer hinunter, kam zurück und half ihr in den Wagen. Draußen war dicker Nebel, und Michael merkte, wie nervös er war. Er war nicht imstande, tief zu atmen, und fuhr ganz langsam, den Kopf über das Lenkrad gebeugt, fast bis an die Windschutzscheibe.
     
    »Womit lassen sich diese Wehen vergleichen?« fragte er.
    »Ich weiß nicht recht, es ist fast wie bei einem sehr langsam fahrenden Lift. Sie steigen an, bleiben eine Weile auf dem Höhepunkt und sinken dann wieder ab.«
    »Wie beim Orgasmus?«
    »Nein«, sagte sie. »Herr Jesus! «
    »Sag das nicht! « fuhr es ihm heraus.
    »Soll ich Moses sagen? Ist das besser?« Sie schüttelte den Kopf, schloß die Augen. »Für einen so gescheiten Mann kannst du unglaublich dumm sein.«
    Er gab keine Antwort und fuhr durch die nebligen Straßen, mit der Hoffnung, sich noch nicht verirrt zu haben.
    Sie strich ihm über die Wange.
    »Es tut mir leid, Lieber. Oh -jetzt fängt's schon wieder an.«
    Sie nahm seine rechte Hand vom Lenkrad und legte sie auf ihren Bauch.
    Während sie die Hand dort festhielt, wurden die schlaffen Muskeln fest, dann verkrampft, dann ließ der Krampf unter seinen Fingerspitzen allmählich wieder nach. »Innen spür ich's genauso«, flüsterte sie. »Alles zieht sich zusammen zu einer harten Kugel.« plötzlich merkte er, daß er zitterte. Er hielt den Wagen hinter einem am Straßenrand unter einer Laterne parkenden Taxi an. »Ich habe mich verfahren, verdammt noch mal«, sagte er. »Kannst du in das Taxi umsteigen?«
    »Natürlich.«
    Der Fahrer war kahl, trug Leinenhosen und ein zerknittertes Buschhemd. Sein rotes irisches Gesicht war verquollen von Schläfrigkeit.
     
    »Lane Hospital«, sagte Michael.
    Der Fahrer nickte und gähnte ausgiebig, während er den Motor startete.
    »Es ist an der Webster, zwischen Clay und Sacramanto«, sagte Michael.
    »Ich weiß schon, wo's ist.«
    Michael musterte Leslies Gesicht und sah, wie ihre Augen sich weiteten.
    »Du kannst mir nicht erzählen, daß das noch Vorwehen sind«, sagte er.
    »Nein, jetzt sind's die Wehen.«
    Zum erstenmal sah

Weitere Kostenlose Bücher