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Der Rabbi

Der Rabbi

Titel: Der Rabbi Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Noah Gordon
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den Weg nach Hause, um dort seines Weibes geschwollenen Leib zu betrachten.
    In der ersten Morgenfrühe begannen Michael und der Pfarrer miteinander zu reden; sie standen über den Absperrzaun gelehnt, bliesen den Rauch ihrer Pfeifen in den Morgennebel und sahen dem riesigen Dampfbagger zu, wie er sich den Abhang hineinfraß. Sorgsam vermieden sie alle religiösen Themen. Über Sport redete sich's leichter.
    Eingehend diskutierten sie den derzeitigen Tabellenstand der Seals und die noch ausstehenden Teamspiele gegen Los Angeles. Und während sie über »averages« und »clutch hitters« sprachen, über die Katzengewandtheit von Williams und das Draufgängertum von DiMaggio, sahen sie die Baugrube Gestalt annehmen und später die Grundmauern wachsen.
    »Interessant«, sagte Michael, als der Grundriß deutlich zu werden begann: ein Rechteck, das in einen großen Kreis mündete.
    Pater Campanelli ging nicht weiter darauf ein. »Mal was anderes«, sagte er, während seine Blicke unwillkürlich die Straße hinauf zu der alten St.-
    Margarets-Kirche wanderten, wie sie da, alt und viel zu klein, aus roten Ziegeln in einfachen, aber schönen Proportionen errichtet, in efeuüberwachsener Würde sich erhob. Dabei strichen seine langen dürren Finger über das Mal, das sein Habichtsgesicht verunzierte.
    Michael kannte diese Geste schon: sie erfolgte immer dann, wenn unangenehme Dinge zur Diskussion gestanden waren - zum Beispiel ein Formtief der »Seals«, Williams' steifer Finger, der seiner Größe bei den Fans Abbruch tat, ein in hoffnungsloser Liebe zu Marilyn Monroe dahinwelkender DiMaggio.
    An einem Sonntag, als er mit Leslie in den sinkenden Nachmittag der Monterey-Halbinsel hineinfuhr, sah er einen Tempel auf einer Felsklippe über dem Pazifik.
    Die Lage war herrlich, nicht so das Bauwerk. Ganz aus Rotholz und Glas, schien es dem Fehltritt eines Blockhauses mit einem Eispalast entsprungen zu sein.
    »Scheußlich, was?« fragte er Leslie. »Mhm.«
    »Wie wird erst die neue Kirche bei uns drinnen aussehen!« Verschlafen zuckte sie die Schultern.
    Nach einer Weile streckte sie sich und sah ihn an. »Wenn dir ein Architekt einen Tempel entwerfen müßte, was würdest du dir wünschen?«
    Jetzt war es an ihm, die Schultern zu zucken. Aber die Frage ging ihm lange nicht aus dem Sinn.
    Anderntags, nach der Talmudlektüre, saß er kaffeetrinkend in seinem Arbeitszimmer und machte sich daran, den idealen Tempel zu planen.
    Es machte mehr Spaß als das Lesen, entdeckte er, und befriedigte dennoch so wenig wie eine Schachpartie gegen sich selbst. Er hantierte mit Papier und Bleistift, machte Entwurfskizzen, die er prompt wieder wegwarf, Aufstellungen, die er wieder und wieder erwog und umschrieb.
    Er ging in die Bücherei und verlangte dort Werke über Architektur. Und immer wieder fand er sich in einer Sackgasse, die ihn zwang, seine Vorstellung von dem, was ein Tempel zu sein hätte, zu revidieren, so oft zu revidieren, daß er schließlich ein ganzes Aktenfach in seinem Arbeitszimmer für all diese Notizen und Bücher und Planskizzen frei machen mußte, deren Verfertigung ihm nun die langen Stunden seiner Freizeit unschwer füllte, wenngleich das Ganze nicht mehr war als eine Art Gesellschaftsspiel, eine rabbinische Version, Patiencen zu legen.
    Gelegentlich gab es Störungen. Eines Morgens kam da ein betrunkener Handelsmatrose herein, unrasiert und mit angeschlagenem Auge.
    »Ich möchte beichten, Hochwürden«, sagte er, indem er sich schwer und mit geschlossenen Augen in einen der Stühle fallen ließ.
    »Leider...«
    Der Matrose öffnete das eine Auge. »Ich bin kein Pfarrer.«
    »Wo ist er?«
    »Das ist keine Kirche.«
    »Mach mir nichts vor, Kumpel, hab im Krieg x-mal hier gebeichtet.
    Kann mich genau dran erinnern.«
    »Früher einmal war's eine Kirche.« Und er wollte eben zu erklären beginnen, was mit der Kirche geschehen war, aber der Seemann schnitt ihm das Wort ab.
    »Ja, Herrgott noch mal«, sagte er, »Herrgott noch mal«, während er schwankend aufstand und davonging, »wenn das keine Kirche ist, was, zum Teufel, hast du dann hier verloren?«
    Michael saß da und starrte auf die Tür, durch welche der Mann in die Helle des Tages geschlurft war.
    »Ich mach dir gar nichts vor, Kumpel«, sagte er schließlich vor sich hin.
    »Ich weiß es selbst nicht genau.«

33
    Eines Abends, als er heimkam, traf er Leslie mit rotgeweinten Augen an.
    »Ist etwas passiert?« fragte er und dachte schon an Ruthies Familie, an

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