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Der Rabbi

Der Rabbi

Titel: Der Rabbi Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Noah Gordon
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langte er in die Tasche seines verwaschenen Flanellschlafrocks. Papier raschelte, und dann hielten die plumpen Finger ein Stück Ingwer an die Lippen des Knaben.
    Beseligt schlief Michael ein.
    Im Frühherbst, als die Tage kürzer wurden und das Laubhüttenfest herannahte, vertiefte sich die Freundschaft zwischen Michael und seinem sejde. In den vier Jahren, die der Alte bei den Rivkinds lebte, baute er in jedem Herbst in dem winzigen Hinterhof eine ssuke , eine kleine, mit Zweigen und Garben gedeckte Holzhütte. Für einen alten Mann war das eine schwere Arbeit, vor allem, da Wiesen, Strohschober und Bäume in Brooklyn nicht im Überfluß zu finden waren. Manchmal mußte er das Rohmaterial weit aus Jersey heranbringen, und er quälte Abe wochenlang, bis ihn dieser im Familien-Chevrolet aufs Land führte.
    »Warum plagst du dich so?« fragte Dorothy einmal, als sie ihm ein Glas Tee brachte, während er gerade keuchend und schwitzend mit dem Hüttenbau beschäftigt war. »Wozu diese schwere Arbeit?«
    »Um die Ernte zu feiern.«
    »Welche Ernte, um Himmels willen? Wir sind keine Bauern. Du verkaufst Konserven. Dein Sohn macht Mieder für Damen mit großen Hintern. Wer erntet?«
    Mitleidig betrachtete er diese Frauensperson, die sein Sohn ihm zur Tochter gegeben hatte. »Seit Jahrtausenden, seit die Juden aus der Wüste gekommen sind, in Gettos und in Palästen haben sie ssukess gefeiert.
    Man muß nicht Kohl pflanzen, um zu ernten.« Seine große Hand faßte Michael im Nacken und schob ihn seiner Mutter zu. »Da ist deine Ernte.« Sie verstand nicht, und der sejde hatte nun auch schon lange genug mit ihnen gelebt, um kein Verständnis von ihr zu erwarten.
    Im Gegensatz zu seiner Mutter war Michael von der ssuke begeistert.
    Der sejde nahm seine Mahlzeiten unter dem Strohdach der Hütte ein, und wenn das Wetter es zuließ, stellte er auf der bloßen Erde ein Feldbett auf und schlief auch dort. Im ersten Jahr bat Michael so lange, bis seine Eltern nachgaben und ihn beim Großvater schlafen ließen. Es waren die warmen Tage und klaren Nächte des Indianersommers, und sie schliefen unter einem dicken Federbett, das der sejde von Williamsburg mitgebracht hatte. Jahre später, als Michael zum erstenmal in den Bergen im Freien schlief, erinnerte er sich lebhaft dieser Nacht.
    Das Rauschen des Windes im Strohdach der ssuke fiel ihm wieder ein, das Licht des Herbstmonds, das durchs Gitterwerk der Äste fiel und ihrer beiden Schatten auf den nackten Erdboden warf; und auch der Lärm des Verkehrs, der so gar nicht dazu paßte, und doch irgendwie schön, gedämpft und märchenhaft von der zwei Gassen entfernten 13th Avenue in ihren Hinterhof herübertönte.
    Nur eine solche Nacht war ihnen gegönnt, dem unglücklichen alten Mann und dem staunenden kleinen Jungen, die sich warm aneinanderschmiegten gegen die Kühle der Nacht und vorgaben, in einer anderen Welt zu sein. Sie wollten es zu diesem Laubhüttenfest noch ein zweites Mal versuchen, aber es regnete. Und in den folgenden Jahren, bis der sejde ihr Haus verließ, erklärte die Mutter jedesmal, es sei zu kalt.
    Es war klar, daß Isaacs Bleiben im Haus seines Sohnes nicht von Dauer sein konnte. Als er aber wirklich wegging, konnte sein Enkel es nicht ganz verstehen. Der letzte Anlaß war ein neunjähriger Italiener namens Joseph Morello. Er ging in dieselbe Klasse wie Ruthie, und sie war verliebt in ihn. Eines Nachmittags kam sie ganz aufgeregt mit der Neuigkeit nach Hause, Joey habe sie für den kommenden Samstag zu seiner Geburtstagsfeier eingeladen. Unglücklicherweise erzählte sie Michael davon, als der Großvater eben in der Küche seinen Tee trank und den Jewish Forward las. Er blickte auf und schob seine stahlgeränderte Brille in die Höhe.
     
    »Am schabess ? Am schabess gibt dieser Bub eine Gesellschaft? Was sind das für Leute?«
    »Ach, sejde «, sagte Ruthie.
    »Wie heißt er, der Vater von diesem Joey?« »Morello.«
    »Morello? Ein Italiener?« Er schob die Brille wieder auf seine Nase zurück und schüttelte den Forward . »Dort gehst du nicht hin.«
    Ruthies herzzerreißendes Klagen rief die Mutter aus dem Schlafzimmer.
    Sie kam, ein Kopftuch über den Haaren und den Mop in der Hand, hörte sich die geschluchzten Erklärungen ihrer Tochter an und stellte den Mop weg. »Geh in dein Zimmer, Ruthie«, sagte sie.
    Dann, als die Kleine hinausgegangen war, fixierte sie ihren Schwiegervater, der seinerseits den Jewish Forward fixierte. »Sie wird zu dieser

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