Der Rabbi
Geburtstagsgesellschaft gehen«, sagte sie. »Nicht am schabess .«
»Du willst am schabess zu Hause bleiben, also bleib zu Hause oder geh zur schul mit den andern alten Männern. Aber sie ist ein kleines Mädchen, das man zu einer Geburtstagsfeier eingeladen hat. Dort wird sie mit anderen kleinen Mädchen und Jungen um einen Tisch sitzen und Kuchen und Eiscreme essen. Das ist doch wohl keine Sünde.«
Die Adleraugen wandten sich ihr zu. »Mit Christen?«
»Mit Jungen und Mädchen.«
»Das ist der erste Schritt«, sagte Isaac Rivkind. »Der erste Schritt, und du selbst drängst sie dazu. Und wenn sie erst ein paar Jahre älter ist und schon Brüste hat - wenn dann so ein Italiener daherkommt und ein Kreuz an einer billigen Goldkette dazwischen legt - was wirst du dann sagen?« Er faltete die Zeitung zusammen und erhob sich. »Na, was wird meine feine Schwiegertochter dann sagen?«
»Um Himmels willen, wir reden von einer Geburtstagsgesellschaft für Kinder, nicht von einer Hochzeit«, sagte sie. Aber er ging schon aus der Küche.
»Sie wird nicht hingehen«, sagte er, die Tür zuschlagend. Dorothy stand inmitten der Küche, weiß wie die Wand. Dann lief sie zum Fenster und riß es auf. Drunten, zwei Stockwerke unter ihr, trat Isaac eben aus dem Haustor auf die Straße. »SIE WIRD HINGEHEN«, schrie sie ihm nach.
»HÖRST DU, ALTER? SIE WIRD HINGEHEN! « Dann knallte sie das Fenster zu und begann zu weinen.
An diesem Abend hielt Michaels sejde seinen Laden lange über die normale Sperrstunde hinaus offen. Als der Vater aus der Fabrik nach Hause kam, führten die Eltern ein langes Gespräch in ihrem Schlafzimmer. Ruth und Michael hörten sie streiten. Schließlich kam der Vater heraus, das rundliche Gesicht verzerrt wie das eines Kindes, das weinen möchte und nicht weinen kann. Er holte Fleisch aus dem Kühlschrank und machte einen Teller für den sejde zurecht. Die Kinder schliefen ein, bevor der Vater heimkehrte.
Ruthie erklärte ihrem Bruder am nächsten Tag, worüber die Eltern gestritten hatten. »Der eklige Alte wird sich hier nicht mehr herumtreiben«, sagte sie.
Er spürte plötzlich einen Druck auf der Brust. »Was meinst du damit?« fragte er.
»Er geht in ein Haus, wo nur alte Männer und Frauen sind. Mama hat es gesagt.«
»Du lügst.« Er trat sie aufs Schienbein. Sie brüllte, gab ihm eine Ohrfeige und krallte die Nägel in seinen Arm. »Sag nicht, daß ich lüge, du Lausbalg! « Die Tränen standen ihr in den Augen, sie vergönnte ihm jedoch nicht, sie weinen zu sehen. Er aber war verletzt und wußte, daß er gleich zu weinen anfangen würde - so lief er fort und aus dem Haus.
Er lief die Stiegen hinunter, hinaus auf die Straße und um die Ecke zu Rivkinds Laden. Der sejde saß in seinem Schaukelstuhl, aber er las nicht, er tat überhaupt nichts. Michael kletterte auf seine Knie und versteckte das Gesicht im Bart seines Großvaters. Mit jedem Herzschlag des alten Mannes kitzelte eine Bartsträhne das Ohr des Knaben.
»Gehst du weg, sejde ?«
»Aber nein. Dummheiten.« Sein Atem roch stark nach Whisky. »Wenn du jemals weggehst, geh ich mit dir«, sagte Michael.
Isaac legte seine Hand auf den Kopf des Knaben und begann zu schaukeln, und Michael wußte, daß alles gut werden mußte. Mitten in der Geschichte vom Zollbeamten kam die dicke Mrs. Jacobson in den Laden. Michaels sejde sah zu ihr auf.
»Gehen Sie«, sagte er.
Mrs. Jacobson lächelte höflich, wie über einen Witz, den sie nicht verstand. Sie blieb stehen und wartete.
»Gehen Sie«, sagte der Großvater nochmals. »Ich mag Sie nicht bedienen. Sie haben einen fetten Hintern.«
Mrs. Jacobsons Gesicht schien in Stücke zu gehen vor fassungslosem Staunen. »Was ist los mit Ihnen?« sagte sie. »Sind Sie übergeschnappt?«
»So gehen Sie doch endlich. Und tappen Sie nicht in den Tomaten herum mit Ihren dicken Fingern. Das wollte ich Ihnen schon lange sagen.«
Ähnliche Freundlichkeiten sagte er im Lauf dieses Nachmittags noch einem halben Dutzend von Käufern, die wütend seinen Laden verließen.
Schließlich kam Michaels Vater, als sie gerade bei der Geschichte vom Kauf des ersten Ladens waren. Er stand da und sah die beiden an, und sie sahen ihn an. Michaels Vater war nur mittelgroß, aber sein Körper war wohlproportioniert, und er sorgte mit regelmäßigem Training in der Young Men's Hebrew Association dafür, daß er gut in Form blieb. In seinem Schlafzimmer hatte er einen Satz von Gewichten, und manchmal sah
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