Der Rächer von Antares
ab.
Ich hatte ihm mein Wort gegeben. Gebrochen hätte ich mein Wort nur gegenüber Lem dem Silber-Leem oder gegenüber einem magdagschen Oberherrn. Doch nicht gegenüber Rees, der mein Freund war.
Eigentlich hatte ich an diesem Abend Ornol aufsuchen und über das Geheimnis der hamalischen Voller befragen wollen. Diesen Plan hatte ich durch mein neues Versprechen zunichtegemacht. Delia würde mich verstehen und mir verzeihen – doch mir selbst konnte ich nicht verzeihen. Was war denn das Leben der Tochter eines Feindes wert? Nichts? Nichts!
Saffi, die junge strahlende Schönheit, war eine Hamalerin. Meine Treue gehörte Delia, ihrem Vater, und Valka und Vallia. Wenn ich versagte und die Hamaler Valka angriffen und meine herrliche Insel vernichteten ...? Würden sich nicht das verbrannte Land, die Witwen und Waisen zu recht an Opaz wenden, um Rache gegen mich zu fordern?
Aber Rees war mein Freund, und ich hatte ihm mein Wort gegeben.
Vielleicht gab es noch einen Ausweg. Vielleicht wurde Hamal in seinem Vormarsch weiter aufgehalten. Vielleicht hatte ich noch genug Zeit. Mit derartigen Argumenten versuchte ich mich zu beruhigen, während ich das Zimmer aufsuchte, das man mir in Rees' Villa zugewiesen hatte.
Ich legte mein altes rotes Lendentuch an. Darüber zog ich ein dunkelblaues Hemd und eine dunkelblaue Hose. Ich legte Delias Rapier und Dolch um. Über meine rechte Schulter hängte ich einen Köcher mit Terchiks, kleinen gefährlichen Wurfmessern, die sich gut in die Hand schmiegen. An meiner rechten Hüfte befestigte ich mein zuverlässiges Seemannsmesser. Dann legte ich mein graues Cape um und verließ das Zimmer – und mußte sofort umkehren, um meine hamalischen Stiefel anzuziehen. Ich war es gewöhnt, barfuß auf die Jagd zu gehen.
Rashi saß am Bett ihres Mannes, doch ich störte sie nicht. Auf dem Flur begegnete mir Roban. Was sollte ich ihm sagen? Ich machte es möglichst kurz, bat ihn, den Kopf hochzuhalten und daran zu denken, daß er im Augenblick der einzige wehrfähige Mann in der Familie sei. Ich überließ ihm einen vorzüglichen linkshändigen Dolch, den ich aus meinem Zimmer mitgebracht hatte.
»Du mußt erwachsen werden, Roban.« Dabei war er erst zwölf Jahre alt. Ich dachte an den jungen Pando, der mit zehn Jahren schon weit über seine Jahre erwachsen gewesen war. Und hatte ich nicht selbst in jungen Jahren das Schreckensleben eines Schiffsjungen der englischen Marine hinter mich gebracht? »Nimm diesen Dolch. Schütze deine Mutter und deinen Vater. Wenn alles gutgeht, bin ich vor Sonnenaufgang zurück.«
»Ja, Hamun«, sagte er. Seine Worte klangen wie flache Steine unter dem Rad eines Calsany-Wagens. Ich drehte mich mit wehendem Mantel um und ging.
Ich wußte, wo Vad Garnath wohnte.
Ich halte nichts von Rache. Sie raubt einem Mann die klare Überlegung. Doch mein Zorn über diese feige und heimtückische Tat war maßlos, einen siebzehnjährigen Jüngling umzubringen und seine hübsche Zwillingsschwester zu entführen, harmlose Dienstboten hinterrücks niederzustechen. Bei Zair, ich war in Fahrt. Wahrhaftig!
Garnaths vornehme Villa lag bis auf ein verriegeltes Fenster im Dunkeln. Ich brach den Riegel auf, schlug das Fenster ein und sprang ins Zimmer. Eine grauhaarige alte Frau kam kreischend auf mich zu. Ihr runzliges Gesicht war verzerrt. Sie trug ein Nachthemd und dachte, ich wollte sie umbringen.
»Hör zu, alte Frau. Wo ist der Vad?«
Im ersten Augenblick brachte sie kein Wort heraus. Dann: »Fort, Herr. Er ist fort!«
»Aye, das weiß ich. Die Villa ist nicht beleuchtet, und ich sehe keine Wächter.«
»Auf dem Grundstück gibt es Werstings.«
»Ich habe keine gesehen.« Ich starrte sie aufgebracht an. »Aber wenn ich sie nachher noch zu Gesicht bekomme, werden sie die Begegnung nicht überleben. Und jetzt sag mir eins: Wo ist der Vad?«
»Ich weiß es nicht, Herr! Er ist fort, fort!«
Sie war halb gelähmt vor Angst. »Hast du ein Numin-Mädchen gesehen, das hierhergebracht wurde?«
Sie schüttelte den Kopf – doch die langsame Bewegung verriet mir, daß sie log. Ich schüttelte sie vorsichtig, damit sie mir nicht zerbrach.
»Wohin ist das Numinmädchen gebracht worden?«
Sie zögerte, dann brach es aus ihr hervor: »Der Vad hat sie mitgenommen! Sie war gefesselt und hat geweint.«
»Sie hat geweint«, wiederholte ich. Mein Zorn drohte mich zu ersticken.
Doch ich erkannte, daß die alte Frau nicht mehr wußte. Auf dem Grundstück befanden sich keine Wächter
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