Der Raecher
hatten, erkannte er an der Stimme, noch ehe sie ihren Namen nannten. Nachbarn, Klienten, ansässige Geschäftsleute, die ihm einen schönen Angelurlaub wünschten und wissen wollten, wann er wieder an seinen Schreibtisch zurückkehre.
Beim zweitletzten Anruf fiel ihm fast der Hörer aus der Hand, und er starrte, ohne etwas wahrzunehmen, in den regen Verkehr hinter der Glasscheibe. Nachdem er aufgelegt hatte, streifte er eine Stunde lang umher und versuchte zu begreifen, wie so etwas hatte geschehen können. Woher wusste der Anrufer, wer er war und was er tat? Und noch wichtiger: Gehörte die fremde Stimme einem Freund oder einem Verräter?
Der Anrufer hatte seinen Namen nicht genannt. Seine Stimme hatte flach geklungen, monoton, als habe er durch mehrere Lagen von Papiertaschentüchern gesprochen. Er hatte einfach nur gesagt: »Avenger, seien Sie auf der Hut. Sie wissen, dass Sie kommen.«
24
Der Plan
A ls Professor Medvers Watson ihn verließ, war der surinamesische Konsul so konfus, dass er beinahe vergessen hätte, den Wissenschaftler auf die Liste der Visumsantragsteller zu setzen, die er an Kevin McBrides Privatadresse in der Stadt schicken wollte.
» Callicore maronensis «, hatte der Professor strahlend auf die Frage nach dem Grund seines Besuchs in Surinam geantwortet. Der Konsul blickte verständnislos. Professor Watson bemerkte seine Verwirrung, griff in seinen Aktenkoffer und zog Andrew Neilds Meisterwerk The Butterflies of Venezuela hervor.
»Er ist gesichtet worden, müssen Sie wissen. Typ ›V‹. Unglaublich.«
Er schlug das Standardwerk auf und zeigte ihm eine Seite mit Farbfotos von Schmetterlingen, die für den Konsul alle ziemlich gleich aussahen und sich nur durch kleine Varianten in der Zeichnung der Hinterflügel unterschieden.
»Er gehört zu den Limentidinae, müssen Sie wissen. Eine Unterfamilie, versteht sich. Wie die Charaxinae. Beide zählen zur Familie der Nymphalidae, wie Ihnen bekannt sein dürfte.«
Der verdutzte Konsul sah sich unvermittelt mit einem Vortrag über die systematische Einteilung in Familien, Unterfamilien, Gattungen, Arten und Unterarten konfrontiert.
»Aber was haben Sie mit ihnen vor?«, fragte der Konsul. Professor Medvers Watson klappte seinen Bildband zu.
»Fotografieren, Sir. Sie finden und fotografieren. Anscheinend ist einer gesehen worden. Agrias narcissus wurde im Dschungel Ihres Hinterlands bereits gefunden, aber Callicore maronensis ?
Das würde Geschichte machen. Deshalb muss ich unverzüglich dorthin. Die Regenzeit steht vor der Tür.«
Der Konsul blätterte in dem amerikanischen Pass. Er enthielt viele Stempel für Venezuela. Andere für Brasilien, Guyana. Er faltete das Schreiben mit dem Briefkopf des Smithsonian Institute auseinander. Professor Watson wurde vom Leiter des Fachbereichs Entomologie, Abteilung Lepidoptera, wärmstens empfohlen. Er nickte bedächtig. Wissenschaft, Umweltschutz, Ökologie, solche Dinge durfte man heutzutage nicht auf die leichte Schulter nehmen. Er stempelte das Visum und gab den Pass zurück.
Professor Watson bat nicht um den Brief, und so blieb er auf dem Tisch liegen.
»Na dann, Weidmannsheil«, sagte er halbherzig.
Zwei Tage später trat Kevin McBride mit einem breiten Grinsen in das Büro von Paul Devereaux.
»Ich glaube, wir haben ihn«, sagte er und legte einen ausgefüllten und genehmigten Visumantrag des surinamesischen Konsulats auf den Tisch. Ein Passfoto klebte auf der Seite.
Devereaux las die Personalien.
»Und?«
McBride legte einen Brief neben das Antragsformular. Devereaux las ihn ebenfalls.
»Und?«
»Er ist ein Schwindler. Nach Auskunft des State Department gibt es keinen Passinhaber namens Medvers Watson. Jeder Zweifel ausgeschlossen. Er hätte einen gängigeren Namen nehmen sollen. Der hier fällt aus dem Rahmen. Die Wissenschaftler vom Smithsonian haben nie von ihm gehört. Kein Schmetterlingsforscher kennt einen Medvers Watson.«
Devereaux sah sich das Foto des Mannes an, der versucht hatte, seine verdeckte Operation zu hintertreiben, und dadurch, wenn auch unfreiwillig, zu seinem Feind geworden war. Die Augen glotzten eulenhaft hinter der Brille hervor, und der zottelig
vom Kinn abstehende Spitzbart ließ das Gesicht nicht etwa energischer, sondern weicher erscheinen.
»Gut gemacht, Kevin. Brillante Strategie. Schließlich war sie erfolgreich, und natürlich ist alles brillant, was zum Erfolg führt. Alle Einzelheiten sofort an Oberst Moreno in San Martin, wenn ich bitten darf.
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