Der Raecher
wie die nackte Wand eines Tunnelendes aus. Es gab Vorratslager, Versammlungshöhlen, Schlaf- und Essräume, Reparaturwerkstätten und sogar Lazarette. 1966 konnte sich eine komplette Kampfbrigade dort unten verstecken, doch bis zur Tet-Offensive war das nicht nötig.
Angreifer wurden dazu verleitet einzudringen. Entdeckten sie einen senkrechten Schacht, wartete an dessen Ende möglicherweise eine heimtückische Falle. In die Tunnel zu feuern war sinnlos, denn sie änderten nach wenigen Metern die Richtung, sodass die Wand zum Kugelfang wurde.
Sprengen war nutzlos, denn in dem stockfinsteren, unterirdischen Labyrinth gab es Dutzende von alternativen Gängen, die nur ein Ortskundiger kannte. Auch der Einsatz von Gas war unsinnig, denn sie bauten mit dem Knie eines Toilettenabflussrohrs vergleichbare Wasserverschlüsse ein.
Das Netz unter dem Dschungel reichte von den Vorstädten Saigons bis kurz vor die kambodschanische Grenze. Es gab noch verschiedene andere Netze, doch keines war wie das Tunnelsystem von Cu Chi, so benannt nach der nächstgelegenen Stadt.
Nach dem Monsun war der Lateritboden weich, ließ sich leicht abkratzen und in Körben wegtragen. In der Trockenzeit wurde er hart wie Beton.
Nach Kennedys Tod trafen die Amerikaner in beachtlicher Zahl ein, dann ab dem Frühjahr 1964 nicht mehr nur als Militärberater, sondern auch als Kämpfer. Sie waren zahlenmäßig überlegen, verfügten über die besseren Waffen, das bessere Gerät, die höhere Feuerkraft - und trafen nichts. Sie trafen nichts, weil sie nichts fanden, nur dann und wann, wenn sie Glück hatten, die Leiche eines Vietcong. Doch sie erlitten Verluste, und die Zahl der Gefallenen stieg.
Zunächst lag der Gedanke nahe, dass die Vietcong-Kämpfer tagsüber Bauern waren, sich zwischen den Millionen von Pyjamaträgern versteckten und nachts auf Guerilla umsattelten. Woher also am Tag die hohen Verluste, wenn niemand da war, auf den man schießen konnte? Im Januar 1966 beschloss die Big Red One, im Eisernen Dreieck ein für alle Mal aufzuräumen. Sie startete die Operation »Crimp«.
Die Soldaten begannen an einem Ende, schwärmten fächerförmig aus und rückten vor. Sie hatten genug Munition, um ganz Indochina zu entvölkern, erreichten das andere Ende und hatten niemanden entdeckt. Hinter der vorrückenden Linie begannen Scharfschützen zu feuern, und die GIs verloren fünf Mann. Wer auch immer geschossen hatte, er besaß nur alte sowjetische Repetiergewehre, aber Herzschuss blieb Herzschuss.
Die GIs machten kehrt und durchkämmten das Gebiet ein zweites Mal. Doch sie trafen auf keinen Feind. Dafür erlitten sie weitere Verluste, stets durch Schüsse in den Rücken. Sie entdeckten ein paar Schützenlöcher und Luftschutzbunker. Leer, niemand versteckte sich hier. Dann erneut Schüsse aus dem Hinterhalt, aber keine flüchtenden schwarzen Gestalten, auf die man zielen konnte.
Am vierten Tag hatte Sergeant Stewart Green die Nase ebenso gestrichen voll wie seine Kameraden und setzte sich hin, um zu verschnaufen. Nach zwei Sekunden stand er wieder auf und hielt sich den Hintern. Feuerameisen, Skorpione, Schlangen, in Vietnam gab es alles. Er war überzeugt, dass ihn etwas gebissen oder gestochen hatte. Doch es war nur ein Nagelkopf. Der Nagel steckte in einem Rahmen, und der Rahmen war die getarnte Tür zu einem Schacht, der senkrecht in die Dunkelheit hinabführte. Die US-Army hatte entdeckt, wohin die Heckenschützen verschwanden. Seit zwei Jahren marschierte man über ihren Köpfen herum.
Es gab keine Möglichkeit, den Vietcong, der da unten lebte und sich in der Dunkelheit versteckte, per Fernsteuerung zu bekämpfen. Die Gesellschaft, die drei Jahre später zwei Männer auf einen Mondspaziergang ins All schicken sollte, hatte keine technische Antwort auf das Tunnelsystem von Cu Chi. Es gab nur eine Möglichkeit, den unsichtbaren Feind zu bekämpfen.
Jemand musste sich bis auf die dünne Baumwollhose ausziehen und, nur mit Pistole, Messer und Taschenlampe bewaffnet, hinunter in dieses stockfinstere, stinkende, stickige, unerforschte, kartografisch nicht erfasste, mit Fallen gespickte, tödliche und klaustrophobisch enge Labyrinth aus schmalen Stollen, um den wartenden Vietcong im eigenen Versteck zu töten.
Ein paar Männer fanden sich, ein spezieller Typ Mann. Große, stämmige Kerle waren nicht zu gebrauchen. Die fünfundneunzig Prozent mit Platzangst waren nicht zu gebrauchen. Maulhelden, Selbstdarsteller und Angeber waren nicht zu
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