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Der Raecher

Titel: Der Raecher Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Frederick Forsyth
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sollen. Wie sie das machten, geschweige denn, wie man sie austrickste, davon hatte er keinen blassen Schimmer. Er kitzelte die Geschichte förmlich aus Washington Lee heraus.
    Die East River Bank hatte jedes Detail über jeden Kontoinhaber in einer riesigen Datenbank gespeichert. Da die meisten Kunden ihre finanziellen Verhältnisse als sehr private Angelegenheit betrachteten, mussten Bankangestellte ein kompliziertes System von Passwörtern eingeben, ehe sie auf diese Daten zugreifen konnten. War die Eingabe nicht absolut korrekt, leuchtete auf dem Bildschirm die Meldung »Zugriff verweigert« auf. Beim dritten Fehlversuch, eine Datei zu öffnen, blinkte in der Hauptgeschäftsstelle ein Warnsignal.
    Washington Lee hatte die Codes geknackt, ohne den Alarm auszulösen, und den Großrechner im Keller der Bank in Manhattan dazu gebracht, seine Befehle auszuführen. Kurzum, er hatte einen Coitus non-interruptus mit einem sehr teuren Stück Technologie vollzogen.
    Seine Befehle waren einfach. Er beauftragte den Computer, jedes
Spar- und Depositenkonto von Kunden der Bank sowie die monatlichen Zinsgutschriften zu identifizieren. Dann gab er den Befehl ein, von jeder Zinsgutschrift einen Vierteldollar abzuziehen und auf sein eigenes Konto zu überweisen.
    Da er kein Konto besaß, eröffnete er eines bei der örtlichen Chase Manhattan. Hätte er gewusst, wie man das Geld auf die Bahamas transferiert, wäre man ihm wahrscheinlich nie auf die Schliche gekommen.
    Es ist eine ziemlich aufwendige Rechnerei, die fälligen Zinsen eines Depositenkontos zu ermitteln, denn sie hängen von der jeweiligen Zinsrate im fraglichen Zeitraum ab, und die schwankt. Sie bis auf einen Vierteldollar genau auszurechnen, erfordert Zeit. Die meisten Kunden haben diese Zeit nicht. Sie überlassen diese Arbeit der Bank und vertrauen darauf, dass sie keine Fehler macht.
    Nicht so Mr. Tolstoy. Trotz seiner achtzig Jahre war er geistig noch voll auf der Höhe und führte in seiner kleinen Wohnung in der West 108 th Street einen immer währenden Kampf gegen die Langeweile. Er hatte sein Leben lang als Aktuar bei einer großen Versicherung gearbeitet und war dabei zu der Ansicht gelangt, dass jeder Dollar und jeder Cent zählten, wenn sie sich nur oft genug vermehrten. Also setzte er alles daran, die Bank bei einem möglichen Fehler zu ertappen, was ihm eines Tages auch gelang.
    Er stellte fest, dass seine Zinsen für den Monat April um einen Vierteldollar zu niedrig ausfielen. Er prüfte die Zahlen für März. Das Gleiche. Er ging zwei weitere Monate zurück. Dann beschwerte er sich.
    Der Filialleiter hätte ihm den fehlenden Dollar überwiesen, aber Vorschrift war Vorschrift. Er leitete die Beschwerde weiter. Die Zentrale dachte, es handle sich um eine einmalige Panne, überprüfte aber stichprobenartig ein halbes Dutzend anderer Konten. Mit dem gleichen Ergebnis. Daraufhin wurden die Informatiker eingeschaltet.

    Sie stellten fest, dass der Hauptrechner das Gleiche mit allen Konten der Bank gemacht hatte, und das seit zwanzig Monaten. Sie fragten ihn nach dem Grund.
    »Weil ihr es mir aufgetragen habt«, antwortete der Computer.
    »Nein, das haben wir nicht«, widersprachen die Fachleute.
    »Doch, irgendjemand hat es getan«, beharrte der Computer.
    Darauf schalteten sie Dan Witkowski ein. Er brauchte nicht sehr lange. Alle fraglichen Kleinbeträge flossen auf ein Konto bei der Chase Manhattan drüben in Brooklyn. Der Name des Kontoinhabers: Washington Lee.
    »Und wie viel hat Ihnen das eingebracht?«, fragte Dexter.
    »Eine knappe Million.«
    Der Anwalt kaute auf seinem Kugelschreiber. Kein Wunder, dass die Anklage so vage blieb. »Mehr als zehntausend Dollar«, in der Tat. Die Höhe der gestohlenen Summe sagte alles.
     
    Mr. Lou Ackerman ließ sich sein Frühstück schmecken. Nach seinem Dafürhalten war es die schönste Mahlzeit des Tages. Keine Hetzerei wie beim Lunch, keine Völlerei wie bei abendlichen Banketten. Er genoss den eiskalten Saft, die knusprigen Getreideflocken, die lockeren, gut verquirlten Rühreier, das Aroma des frisch aufgebrühten Blue-Mountain-Kaffees. Ein Frühstück auf seinem Balkon über dem Central Park West an einem kühlen Sommermorgen, ehe es richtig heiß wurde, war eine wahre Wonne. Und er fand es empörend, von Calvin Dexter dabei gestört zu werden.
    Als sein philippinischer Diener die Visitenkarte auf den Balkon brachte, streifte er das Wort »Rechtsanwalt« mit einem Blick, runzelte die Stirn und fragte sich, wer

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