Der Raecher
das die beste Lösung, er sitzt mit im Boot und pinkelt nach draußen.«
Vierundzwanzig Stunden später wurde Washington Lee auf freien Fuß gesetzt. Er wusste nicht, wie ihm geschah. Da ging es ihm ganz ähnlich wie dem stellvertretenden Bezirksstaatsanwalt. Doch die Bank litt unter plötzlicher Amnesie, und seine Behörde war wie üblich im Rückstand. Wozu die Sache weiterverfolgen?
Die Bank schickte eine Stretchlimousine zu den Tombs, um ihren neuen Mitarbeiter abzuholen. Er war noch nie in einem solchen Wagen gefahren und saß im Fond, als sein Anwalt den Kopf durchs Fenster streckte.
»Mann, wie haben Sie das bloß hingekriegt? Vielleicht kann ich mich eines Tages revanchieren.«
»Okay, Washington, eines Tages vielleicht.«
Man schrieb den 20. Juli 1988.
11
Der Mörder
U nter Marschall Tito hatte Jugoslawien eine sehr niedrige Kriminalitätsrate. Die Belästigung eines Touristen war undenkbar, Frauen konnten gefahrlos durch die Straßen gehen, und Schutzgelderpressung gab es nicht.
Das war insofern eigenartig, als der aus sechs Teilrepubliken und zwei autonomen Provinzen bestehende, 1918 von den westlichen Alliierten zusammengeschusterte Staat seit jeher einige der ruchlosesten und gewalttätigsten Kriminellen Europas hervorgebracht hatte.
Der Grund bestand darin, dass die jugoslawische Regierung nach 1948 mit der heimischen Unterwelt einen Pakt geschlossen hatte. Der Handel war ganz simpel: Ihr könnt tun, was ihr wollt, und wir drücken beide Augen zu, solange ihr es im Ausland tut. Belgrad exportierte das Verbrechen einfach.
Die bevorzugten Ziele der jugoslawischen Gangsterbosse lagen in Italien, Österreich, Deutschland und Schweden - aus einem einfachen Grund. Mitte der Sechzigerjahre gehörten viele Jugoslawen der ersten Welle von Gastarbeitern an, die aus dem Mittelmeerraum in die reicheren Länder im Norden schwappte. Sie wurden angeworben, um die schmutzige Arbeit zu erledigen, für die sich die Wohlstandsbürger mittlerweile zu fein waren.
Jede größere ethnische Wanderbewegung bringt auch ihre Kriminellen mit. Die italienische Mafia kam mit den italienischen Immigranten nach New York, die türkischen Kriminellen folgten den Gastarbeitern nach Europa. Das Gleiche galt für die Jugoslawen, nur gab es hier eine klare Absprache.
Belgrad schlug zwei Fliegen mit einer Klappe. Woche für Woche schickten die vielen tausend jugoslawischen Gastarbeiter harte Währung in die Heimat, und der stete Devisenfluss täuschte darüber hinweg, dass der kommunistische Staat in einer permanenten Wirtschaftsmisere steckte.
Solange Tito sich Moskau verweigerte, sahen die USA und die Nato sein sonstiges Treiben relativ gelassen. Tatsächlich zählte er in der Zeit des Kalten Kriegs zu den Führern der blockfreien Staaten. Die herrliche Adriaküste Dalmatiens wurde ein Mekka für Touristen, die noch mehr Devisen ins Land brachten, und alles war eitel Sonnenschein.
Im Innern ging Titos Regime brutal gegen Dissidenten und Oppositionelle vor, sorgte aber für Ruhe und Ordnung. Der Pakt mit den Gangstern wurde weniger von der Zivilpolizei geschlossen und überwacht als vielmehr vom Staatssicherheitsdienst DB.
Dieser diktierte auch die Bedingungen. Gangster, die im Ausland lebende Landsleute ausnahmen, durften straffrei zurückkehren und sich in der Heimat von ihren Geschäften erholen, was sie auch taten. Sie bauten sich Ferienhäuser an der Küste und prunkvolle Villen in der Hauptstadt, spendeten in die Pensionskassen der DB-Chefs, und von Zeit zu Zeit wurde von ihnen verlangt, dass sie einen »nassen Job« erledigten, ohne dass eine Rechnung gestellt wurde und sich die Spur zurückverfolgen ließ. Die Federführung bei diesem für beide Seiten vorteilhaften Arrangement hatte der langjährige Sicherheitsdienstchef Stane Dolanc, ein fettleibiger und Furcht erregender Slowene.
Innerhalb Jugoslawiens gab es wohl in kleinem Umfang Prostitution, die von der örtlichen Polizei kontrolliert wurde, und ein gewisses Maß an einträglichem Schmuggel, der gleichfalls den Pensionsfonds der Staatsdiener zugute kam. Gewalt aber war, sofern nicht vom Staat ausgeübt, verboten. Junge Rabauken konnten es zum Anführer rivalisierender Straßenbanden bringen, Autos stehlen (sofern sie nicht den Touristen gehörten) und
sich prügeln. Doch wer es wirklich zu etwas bringen wollte, dem blieb nur das Ausland.
Wer sich in diesem Punkt uneinsichtig zeigte, konnte sich in einem entlegenen Straflager wiederfinden und dort versauern.
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