Der Raecher
Täter Jemeniten, und sie opferten ihr Leben, um ihr Ziel zu erreichen. Es war das erste Selbstmordattentat seit dem Anschlag auf die US-Streitkräfte 1983 in Beirut. Im World Trade Center, in Mogadischu, Dhahran, Nairobi und Daressalam hatte UBL noch nicht das größte Opfer verlangt. In Aden sehr wohl. Er erhöhte den Einsatz.
Die USS Cole, ein Zerstörer der Arleigh-Burke-Klasse, ankerte im Hafen der einstigen britischen Bunkerstation und Garnison am Südzipfel der Arabischen Halbinsel. Der Jemen war das Geburtsland von UBLs Vater. Die US-Präsenz musste an ihm genagt haben.
Zwei Terroristen brausten in einem mit TNT bepackten Schnellboot durch die Flottille von Bumbooten, steuerten zwischen Rumpf und Kai und sprengten sich in die Luft. Die Wucht der Explosion riss ein großes Loch in den Rumpf des Schiffs. An Bord starben siebzehn Seeleute, neununddreißig wurden verletzt.
Devereaux hatte den Terrorismus, seine Entstehung und seine Folgen studiert. Er wusste, dass er sich, ob er nun von staatlicher oder nichtstaatlicher Seite ausgeht, stets in fünf Ebenen untergliedern lässt.
Ganz oben stehen die Anstifter und Planer, die den geistigen
Boden bereiten und die Vollmacht erteilen. Darunter kommen die Organisatoren und Macher, ohne die kein Plan in die Tat umgesetzt werden kann. Sie sind für Rekrutierung, Ausbildung, Finanzierung und Beschaffung der Ausrüstung zuständig. Die dritte Ebene bilden die Vollstrecker, jene, die ohne jeden moralischen Skrupel das Zyklon-B-Granulat in die Gaskammern schütten, die Bomben legen, den Abzug betätigen. An vierter Stelle kommen die aktiven Kollaborateure, jene, die den Killern den Weg weisen, sie zum Versteck führen, den Nachbarn denunzieren, den alten Schulfreund verraten. Und den Bodensatz bildet die breite Masse, die, geistig träge und dumm, dem Tyrannen zujubelt und die Mörder feiert.
Beim Terror gegen den Westen im Allgemeinen und die Vereinigten Staaten im Besonderen übte al-Qaida die ersten beiden Funktionen aus. Weder UBL noch seine ideologische Nummer zwei, der Ägypter Aiman Kawaheri, noch sein Operationschef, Mohammed Atef, noch sein internationaler Emissär, Abu Zubaida, würden jemals in die Verlegenheit kommen, selbst einen Sprengsatz legen oder eine Autobombe steuern zu müssen.
Die Koranschulen brachten unablässig junge Fanatiker hervor, die bereits von einem tiefen Hass auf die ganze, nicht fundamentalistische Welt durchdrungen und mit einer einseitigen Auslegung des Korans auf der Grundlage weniger ausgesuchter Stellen indoktriniert waren. Dazu kamen einige Bekehrte reiferen Alters, die man glauben gemacht hatte, Massenmord führe auf direktem Weg ins Paradies.
Al-Qaida brauchte nur zu planen, zu rekrutieren, auszubilden, auszurüsten, zu befehlen, Geld zu beschaffen und zu beobachten.
Nach dem hitzigen Streit mit Colin Fleming sann Devereaux im Wagen einmal mehr über die ethische Seite seines Tuns nach. Ja, der widerwärtige Serbe hatte einen Amerikaner ermordet. Aber irgendwo da draußen war ein Mann, der fünfzig umgebracht hatte, und weitere würden folgen.
Er dachte an Pater Dominic Xavier, der ihn einst mit einem moralischen Problem konfrontiert hatte.
»Ein Mann kommt auf Sie zu, in der Absicht, Sie zu töten. Er hat ein Messer. Seine maximale Reichweite beträgt einen Meter zwanzig. Sie haben das Recht auf Notwehr. Sie haben keinen Schild, aber Sie haben einen Speer. Seine Reichweite beträgt drei Meter. Machen Sie einen Ausfall, oder warten Sie?«
Er ließ Schüler gegen Schüler antreten, wobei jeder die Aufgabe bekam, den Gegenstandpunkt zu vertreten. Devereaux war sich nie unschlüssig gewesen. Das übergeordnete Gute gegen das kleinere Übel. Hatte der Mann mit dem Speer den Kampf gesucht? Nein. Ergo hatte er das Recht, einen Ausfall zu machen. Es war kein Gegenschlag, denn der erfolgte erst, wenn man den Erstschlag überlebt hatte, sondern ein Präventivschlag. Was UBL anging, so hatte er keine Skrupel. Er war bereit zu töten, um sein Land zu schützen, und dazu brauchte er Hilfe von Bundesgenossen, so verabscheuungswürdig sie auch sein mochten. Fleming hatte Unrecht. Er brauchte Zilić.
Paul Devereaux hatte lange darüber gerätselt, warum sein Land auf der internationalen Sympathieskala so weit abgerutscht war, und er glaubte, das Rätsel gelöst zu haben.
Im Jahr 1945, seinem Geburtsjahr, und in den zehn Jahren danach, in die der Koreakrieg und der Beginn des Kalten Krieges fielen, waren die USA nicht nur das reichste
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