Der raetselhafte Kunstraub
mit Oliver in der Damenabteilung.
Um deutlich zu zeigen, daß er überhaupt nicht neugierig sei, schaltete Fritz jetzt den Staubsauger ein. Er krebste mit ihm in der Herrenabteilung herum. Aber dort gab es in der Ecke einen kleinen, schräg gestellten Spiegel an der Decke. Diesen Spion hatte sich Vater Treutlein einbauen lassen, damit er immer sehen konnte, wie weit man drüben gerade mit einer Dauerwelle war oder mit der Maniküre. Denn manchmal mußte Cornelia auch im Herrensalon den Kunden die Nägel schneiden oder ihnen die Koteletten und Bärte färben.
Diesen Spiegel ließ Fritz Treutlein im Augenblick nicht aus den Augen. Er konnte sehen, wie Oliver Nachtigall gerade den Kopf von Corny in seine beiden Hände nahm. Dabei redete er pausenlos wie ein Wasserfall.
Fritz hätte zu gerne gehört, was Oliver seiner Schwester zu sagen hatte. Er schaltete vorsichtig den Staubsauger auf halbe Kraft. Jetzt war das Motorengeräusch nur noch ganz leise.
Eine Weile wartete Fritz Treutlein. Er wollte sicher sein, daß den beiden drüben in der Damenabteilung nichts aufgefallen war. Jetzt waren schon einzelne Worte zu verstehen. Fritz Treutlein ließ den Staubsauger, wo er gerade stand, und schlich wie ein Indianer auf dem Kriegspfad hinüber in die Richtung zur Damenabteilung.
Jetzt waren die Stimmen ganz deutlich.
„Das wäre wunderschön, Oliver. Aber du weißt ganz genau, daß das nicht geht“, hauchte Corny gerade.
„Es muß einfach gehen“, antwortete Oliver Nachtigall. „Ob ich dich in Öl male oder ob wir eine Büste aus dir machen, aus Stein oder Ton oder Bronze, darüber reden wir noch. Wichtig ist im Augenblick nur, daß du einverstanden bist. Daß du für diesen Kunst-Wettbewerb mein Modell sein willst. Alles andere ist dann piepegal.“
Drüben knarrte der Fußboden ein wenig, und dann war Pause.
Nur das Summen des Staubsaugers war zu hören.
Und dann nach einer ganzen Weile seufzte Cornelia Treutlein: Ach, Oliver ...“ Sie pumpte dabei nach Luft, als hätte sie gerade einen Hundertmeterlauf hinter sich.
Von der Paulskirche schlug es fünf Uhr.
Fast gleichzeitig hörte man von der Straße her ein paar Schritte.
Tack - tack - tack -
Es klang beinahe genauso wie im Korridor des Prinz-Ludwig-Gymnasiums.
Fritz Treutlein war mit zwei Sprüngen wieder bei seinem Staubsauger und stellte den Motor ab. Dann riß er die Tür auf und grüßte höflich: „Guten Tag, Herr Oberstudienrat.“
Aber Studienrat Dr. Purzer war ganz in Gedanken. Er schien Fritz Treutlein überhaupt nicht zu sehen. Ohne ein Wort zu sagen, setzte er sich in den mittleren Sessel. Er hatte ein Manuskript bei sich und fing an zu lesen. Vermutlich hatte er auch auf der Straße beim Gehen darin gelesen und sich nur kurz unterbrochen, als er in den Laden gekommen war.
„Rasieren?“ fragte Fritz Treutlein.
Studienrat Dr. Purzer nickte nur. Er blätterte in seinem Manuskript eine Seite um und las weiter.
„Entschuldigung, Herr Studienrat“, sagte Fritz. Er kam mit der Seife. Aber jetzt wird’s schwierig.“
Dr. Purzer blickte wie jemand, den man mitten im besten Schlaf aufgeweckt hat. Dann legte er das Manuskript auf die Seite und lehnte sich zurück. „Guten Tag auch“, nickte er dann mit ziemlicher Verspätung.
„Das ist wohl ein Krimi“, grinste Fritz Treutlein. Er verteilte jetzt die Seife gleichmäßig auf das Gesicht des Studienrats. „Ich meine, weil es so spannend ist?“
„Leider kein Krimi“, lächelte Dr. Purzer und nahm seine Brille ab. „Das sind meine Vorschläge für die Ausschreibung des Wettbewerbs. Wir beraten heute abend im Kunstverein über die endgültigen Bedingungen.“
„So was stell’ ich mir irrsinnig schwierig vor“, meinte Fritz Treutlein.
„Ist es auch“, seufzte Studienrat Dr. Purzer. Als Fritz Treutlein jetzt in den Spion linste, konnte er sehen, wie Oliver Nachtigall zur Ladentür schlich. Dort drehte er sich noch einmal um, winkte zurück in die Richtung zur Damenabteilung und verschwand.
„Irrsinnig schwierig“, wiederholte Studienrat Dr. Purzer noch einmal.
Die Sache kommt in Bewegung
Der Kunstverein hatte sein Büro im Rathaus. Gleich neben der Telefonzentrale und dem Archiv für Geburtsurkunden im zweiten Stock. Das Zimmer war schon immer viel zu klein gewesen. Aber heute platzte es fast aus allen Nähten.
„Ich eröffne die Sitzung“, erklärte Studienrat Dr. Purzer pünktlich um achtzehn Uhr. In der Hauptstraße flammten gerade die ersten Leuchtreklamen
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