Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Der raffinierte Mr. Scratch: Roman (German Edition)

Der raffinierte Mr. Scratch: Roman (German Edition)

Titel: Der raffinierte Mr. Scratch: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael Poore
Vom Netzwerk:
wollen, und nun erschien ihm der Zeitpunkt gut geeignet, um mit ihr Schluss zu machen. Doch bevor er etwas sagen konnte, übermannte ihn von Neuem der Schlaf.
    Jenna Steele versuchte eine Kaugummiblase zu machen und spuckte den Gummi versehentlich einer Schwester ins Haar. Dort saß er nun wie ein winziger pinkfarbener Dutt.
    Die Kameras fraßen ihn förmlich auf.
    »Niedlich«, sagten sechzig Millionen Zuschauer.

5
Beherzte Katzen
an der Kreuzung
Kansas, 1969
    Dan Paul zu beerdigen war leichter als erwartet. Am Morgen nach seinem Tod fuhr die Band im Konvoi in die nächste Stadt auf der Karte, orderte einen billigen Sarg, keine Einbalsamierung, und sang um sein frisches Grab herum seine Songs. Auf dem Weg aus der Stadt hielt Fish beim Postamt und schickte Telegramme an das Studio und die Agenten, die sie für die verschiedensten Gigs gebucht hatten.
    Wir halten uns an den Zeitplan , stand in den Telegrammen. Mit oder ohne Dan Paul.
    Dann stiegen sie in ihre geräumigen, bunten VW -Busse und fuhren gen Osten. Die sterbliche Hülle des besten Gitarristen der Welt blieb hinter ihnen zurück, um unter Fremden zu verwesen.
    Die drei Musiker fuhren durch die Nacht und lauschten ihrem eigenen Hit Down in the Hole , der im Radio lief.
    Dann verlas der Moderator eine Meldung, nach der Dan Paul Overfield, der vielleicht zum besten Gitarristen aller Zeiten hätte werden können, unterwegs auf der Straße gestorben sei, und wie traurig das alles wäre. Er sagte kein Wort über die überlebende Restband auf ihrem Weg ins nördliche Hinterland von New York.
    Memory war müde, aber nicht schläfrig. Sie beobachtete den Highway, der sich in die Nacht erstreckte, und dachte darüber nach, was ein einziger Tag doch alles verändern konnte.
    Es war ein schwerer Tag für Memory. Zum ersten Mal in ihrer kurzen Erinnerung schien etwas lange Zeit zurückzuliegen, und das stimmte sie traurig. Sie dachte an die Menschenmengen, vor denen sie gespielt hatten, und die Menschenmengen, vor den sie erst noch spielen wollten – Menschenmengen vor der Bühne, Menschenmengen in Clubs und zahllose Menschen, die sie im Radio bewunderten, vielleicht sogar im Fernsehen.
    Dann dachte sie darüber nach, dass Berühmtheiten anderen Leuten vielleicht gar nicht so überlegen waren. Dass sie im Gegenteil sogar ein bisschen unterlegen waren, weil sie ein Loch in sich hatten, so riesig, dass nur die Aufmerksamkeit von Tausenden, Hunderttausenden, ja Millionen es stopfen konnte. Memory wollte, dass unzählige Menschen an sie dachten, sie ständig im Blick behielten, sodass sie sich nicht in Dunst auflösen konnte wie ihre Vergangenheit.
    Sie kämpfte gegen die Tränen an, als der Bus – der rote Bus, der bis jetzt noch nicht kaputtgegangen war – plötzlich einen Satz machte. Irgendetwas knarrte wie eine alte Tür.
    »Das Getriebe«, stöhnte Zachary hinter dem Steuer.
    »Die Aufhängung«, widersprach einer der Roadies hinten im Bus mit vollem Mund.
    Das Knarren hörte auf, und der VW -Bus rollte weiter, jedenfalls für den Augenblick.
    »Er braucht neue Stoßdämpfer«, meinte der Roadie. »Oder er wird eines Tages über einen Buckel springen und sich überschlagen.«
    »Die Karre braucht allen möglichen Scheiß«, sagte Fish gähnend und setzte sich auf. »Und nichts von alledem können wir uns leisten.«
    »Ruf im Studio an«, schlug Zachary vor.
    »Ruf doch selber an!«, entgegnete Fish und trat gegen die Rücklehne von Zacharys Sitz. »Die versuchen wahrscheinlich schon längere Zeit, uns zu erreichen und uns zu sagen, dass wir unsere Verträge zerreißen sollen und wieder nach Hause können.«
    »Hör auf zu treten!«, sagte Zachary.
    »Scheiße!«, rief Fish, verschränkte die Arme und schlug die Beine übereinander, bis er aussah wie ein launisches, übermüdetes, aufgedrehtes Balg. »Vielleicht sollten wir sie wirklich anrufen. Die Geschichte hinter uns bringen.«
    »Du weißt doch gar nicht …«, begann Zachary.
    » Was weiß ich nicht? Wer hat schon Interesse an einem Vertrag mit einer Band, deren einziger halbwegs bekannter Musiker tot ist? Wir hätten diese Unterhaltung gestern Nacht zu Ende führen sollen, aber wir haben uns in die Hose geschissen. Es ist vorbei, Leute. Ihr wisst es, und ich weiß es. Warum also fahren wir noch durch die Gegend und verschleudern Benzin, das wir uns nicht leisten können?«
    Der Motor gab ein puffendes Geräusch von sich.
    »Dampf«, sagte Zachary.
    »Dampf«, pflichtete der Roadie ihm bei. »Kriegen wir

Weitere Kostenlose Bücher