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Der Ramses-Code

Der Ramses-Code

Titel: Der Ramses-Code Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael Klonovsky
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treten. Der kleine dicke Mann dort mit dem Siegerblick, das war Pharao, und er würde mit seinen Taten die Zeiten überdauern und im Gedächtnis der Menschen leben in alle Ewigkeit. Solch ein Mann stand außerhalb der sittlich-moralischen Ordnung und oberhalb allen Menschenmaßes, er war ein Phänomen, das sich, einem Naturereignis gleich, in das Buch der Geschichte einschrieb. Es war sinnlos, ihm zu verübeln, daß er in seinen Untertanen lediglich Manövriermasse sah. Kein einziger Vertreter dieser Masse würde schließlich die Tollkühnheit besitzen und den Versuch wagen, allein, zu Fuß, in völliger Aussichtslosigkeit ein Reich zurückzuerobern. Jean-François begriff: Wäre ernicht Zeitgenosse dieses Wesens, sondern ein Nachgeborener, er würde sich unendlich für Napoleons Leben interessieren. Da er aber Zeitgenosse war, würde er ihm dienen müssen. Frankreichs Größe und Napoleon waren eins, so wie Ägyptens Größe und Pharao eins waren. Jean-François, der unpolitische Altertumsforscher und Gefühls-Republikaner, verwandelte sich in einen Bonapartisten, freilich einen der besonderen Art.
    Napoleon musterte Jean-François kurz und fand offenbar Gefallen an dem jungen Professor mit der schwarzen Mähne und dem merkwürdigen Gelbstich in den Augen; jedenfalls begrüßte er ihn mit einem Scherz: »Sie sind also der Mann, der lieber Hieroglyphen lesen wollte als sich ein Gewehr umzuhängen und mit mir nach Rußland zu marschieren, weshalb der Feldzug zwangsläufig fehlschlagen mußte? Aber nach Ägypten wären Sie mir gefolgt, Monsieur Champoleon der Jüngere?«
    Der Angesprochene stand linkisch vor dem Tisch und wußte nicht, was er antworten sollte. Napoleon erhob sich und trat auf ihn zu.
    »Sie waren noch nie in Ägypten?«
    »Nein, Sire, leider nicht«, antwortete Jean-François, »aber ich träume natürlich davon. Leider fehlen mir die Mittel.«
    »Unser Interesse am Nilland mag sich aus verschiedenen Motiven speisen, gleichwohl bleibt es ein gemeinsames«, erklärte Napoleon. »Im Grunde sind wir nämlich beide Eroberer Ägyptens. Frankreich sollte niemals den Gedanken aufgeben, über Ägypten herrschen zu wollen; strategisch handelt es sich um einen der wichtigsten Teile der Welt, die Verbindung von Morgenland und Abendland. Wer Ägypten beherrscht, wird auch Indien beherrschen. Wenn wir den Welthandel dominieren und England in seine Schranken verweisen wollen, wäre eine neuerliche Besetzung Ägyptens vermutlich sinnvoller, als die Kontinentalsperre es gewesen ist.«
    Er machte eine wegwerfende Handbewegung, während Jacques-Joseph zu grübeln begann, inwieweit sich Napoleons Friedens- und Mäßigungsbeteuerungen vom Vorabend mit solchen Überlegungen in Einklang bringen ließen.
    »So wollt Ihr es noch einmal wagen?« fragte Jean-François, vor dessen innerem Auge sich plötzlich die Aussicht darbot, sein aus der Ferne geliebtes Nilland zu bereisen.
    »Es wäre vermessen, bereits jetzt solche Pläne zu schmieden«, versetzte Napoleon. »Ich verfüge derzeit über 1000 Gardisten, drei Regimenter Infanterie, ein Regiment Artillerie und eine Handvoll Sappeure – für einen überseeischen Eroberungsfeldzug etwas zu wenig. Schauen wir, was die nächsten Wochen bringen.«
    Napoleon erkundigte sich nach Jean-François’ Arbeit, zeigte Interesse an seinem Werk über Ägypten und fragte nach den nächsten Vorhaben. Jean-François zögerte nicht, Napoleon genauestens in Kenntnis zu setzen, wie viele tausend Seiten ungedruckter Manuskripte in seinem Schreibtisch lagen, weil er, von gelehrten Pariser Neidern boykottiert, nicht zur Publikation zugelassen wurde: kommentierte Ausgaben Horapollos und Herodots, eine altägyptische Geographie, eine koptische Grammatik, ein koptisches Wörterbuch. Napoleon wiederum überraschte ihn mit exzellenten Kenntnissen über Geschichte und Geographie Ägyptens und vor allem mit der fixen Idee, das Koptische müsse dort wieder Volkssprache werden.
    »Ich werde Ihre koptischen Werke drucken lassen«, versprach er. »Diese Sprache kann noch einmal sehr wichtig werden, man könnte mit ihrer Hilfe die Ägypter aus der arabisch-islamischen Kultur herausbrechen und europäisieren.«
    Und nun entwarf Napoleon, entgegen seiner Ankündigung, doch konkrete Pläne, wie er mit dem Nilland zu verfahren gedächte, das er als den Mittelpunkt eines erträumten neuen Weltreiches darstellte, welches vom Atlantik bis nach Indien reichen sollte. Er erging sich sogar in allerlei wirtschaftlichen

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