Der Ramses-Code
Name?«
»Champollion, Sire, genaugenommen Champollion-Figeac, denn ich habe noch einen Bruder –«
»Champoleon?« Napoleon lächelte und rief erfreut aus: »Was für ein gutes Omen – Sie tragen die Hälfte meines Namens!« Dann faßte er sich an die Stirn, überlegte eine Sekunde und sagte: »Ich kenne Ihren Namen. Ah, jetzt weiß ich, woher – Sie haben einen Bruder, sagen Sie?«
Jacques-Joseph nickte.
»Ihr Präfekt, Monsieur Fourier, hat mich vor einigen Jahren gebeten, ich möge einen Studenten namens Champoleon vom Kriegsdienst befreien, weil dieser junge Mann dazu bestimmt sei, Frankreichs Ruhm in jener Wissenschaft zu begründen, die das Ägypten der Pharaonen zu ihrem Gegenstand haben werde – entsinne ich mich recht?«
»Ich bin sprachlos, Majestät, daß Ihr Euch daran noch erinnert«, stammelte Jacques-Joseph voller Bewunderung.
»Ja, warum nicht? Bei diesem Namen! Wo ist Ihr Bruder jetzt?«
»Er ist in der Stadt.«
»Und was treibt er? Hat er die neue Wissenschaft etabliert?«
»Nun, er ist Professor für alte Sprachen, hat im vergangenen Jahr sein erstes grundlegendes Werk veröffentlicht« –und auf meinen Vorschlag dem König gewidmet; was für ein Fauxpas, dachte Jacques-Joseph, während er fortfuhr –, »und er versucht seit mehreren Jahren, das ägyptische Schriftsystem zu enträtseln.«
»Seit mehreren Jahren?« Napoleon blickte amüsiert. »Bei euch Altertumsforschern gelten offensichtlich andere Zeitmaßstäbe als in der Politik. Aber nichts für ungut, ich möchte ihn gern sehen. Bringen Sie ihn heute nachmittag mit, wenn Sie Ihren Dienst bei mir antreten. Vielleicht kann ich ihm helfen. – Wo ist übrigens Fourier?« wandte er sich halb an Renauldon, halb in die Runde.
»Er hat die Stadt verlassen«, erwiderte der Bürgermeister.
»Nanu, hat er plötzlich Angst vor mir?«
»Der König hat ihn und die Präfekten der umliegenden Departements durch eine Spezialverfügung dazu aufgefordert, unter Androhung von Arrest und strenger Bestrafung im Falle des Ungehorsams«, erklärte Renauldon.
»So ist er inzwischen ein Bourbonenknecht?« fragte Napoleon stirnrunzelnd.
Jacques-Joseph hielt es für geboten, ein Wort für Fourier einzulegen. »Pardon, Sire, aber das ist er nicht, das müßt Ihr mir glauben, schließlich bin ich sein Sekretär, zumindest bin ich es gewesen –«
»Warum hat er dann sein Departement im Stich gelassen?«
»Weil manche – wenige – Menschen nicht so gewachsen sind, daß sie sich unentwegt hin- und herbiegen können. Er hat Euch nicht verraten, glaubt mir.«
»Er hat seinen Posten verlassen!«
»Auf dem er das letzte Jahr treulich ausharrte, obwohl der Adel unentwegt seinen Kopf forderte.«
»Und warum ist er gerade dann desertiert, als der Adel endlich fliehen mußte?«
»Sire, ich bitte für ihn. Vergebt ihm. Er ist ein treuer Diener Frankreichs, und – ich erlaube mir, als Euer Sekretär zu sprechen – es ist jetzt nicht die Zeit, sich Feinde zu machen.«
Napoleon blickte zu Renauldon und sagte: »Maire, ich glaube, Sie haben mir einen guten Mann empfohlen. Veranlassen Sie, daß Fourier erfährt, er könne aus seinem Versteckhervorkommen, Napoleon wird ihn nicht beißen, und hier gibt es viel für ihn zu tun.«
Am Nachmittag führte Jacques-Joseph seinen Bruder ins »Hôtel des Trois Dauphins«. Als sie ankamen, verließ soeben eine Abordnung der städtischen Handwerker mit zufriedenen Gesichtern den Empfangssaal, zu dem der Kaiser das größte Speisezimmer hatte herrichten lassen. Es befanden sich noch drei Offiziere im Raum, mit denen Napoleon, der am Tisch vor einem offenbar längst kalt gewordenen Mittagessen saß, leise redete. Neben den Tellern lagen ein paar Ausgaben des Grenobler Regierungsblattes; das oberste trug die Titelzeile: »Das Ungeheuer marschiert auf Grenoble zu!«
Jean-François kannte den Korsen nur von Gemälden und war überrascht, statt eines gottgleichen Wesens mit Marmorantlitz einen kleinen, korpulenten Menschen vorzufinden, dessen bleiches Gesicht aufgeschwemmt war und müde wirkte. Offenkundig hatte es im Exil zumindest nicht an guter Kost gemangelt. Als ihn jedoch der erste Blick aus Napoleons Augen traf, erschauerte er für den Bruchteil einer Sekunde.
Dieser Augenblick sollte sein weiteres Schicksal maßgeblich beeinflussen. Bislang hatte er in Napoleon nur einen Despoten gesehen, der ihm nach dem Leben trachtete. Nun verspürte Jean-François auf einmal das Gefühl, mit der Unsterblichkeit in Kontakt zu
Weitere Kostenlose Bücher