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Der Ramses-Code

Der Ramses-Code

Titel: Der Ramses-Code Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael Klonovsky
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Ein Märchenheld, dachte er. Er kommt zu Fuß aus der Verbannung, und Frankreich sinkt ihm zu Füßen. Was für eine Epopöe! Ich muß ihn sehen!
    Das war leichter gedacht als getan. Der Menschenpulk, der die Alte Garde umschloß, die wiederum in ihrer Mitte den Kaiser barg, wälzte sich in Richtung des »Hôtel des Trois Dauphins«, wo Jean-François vor vielen Jahren Vivant Denon kennengelernt hatte und wo Napoleon sein Nachtquartier aufzuschlagen gedachte. Die Garde biwakierte unter den alten Kastanienbäumen auf dem Platz vor dem Gasthaus und riegelte dieses zugleich ab. Wenig später erschien Napoleon auf dem Balkon im ersten Stock und ließ sich minutenlang feiern. Die Brüder hatten sich in die erste Reihe gedrängt, und zwischen zwei baumlangen Gardisten hindurch konnte Jean-François endlich den Kaiser sehen. Napoleon sah müde aus, unsäglich müde; er stützte seine Hände auf die Brüstung und schien sich nur dank äußerster Willensanstrengung aufrecht zu halten. Mit einer Handbewegung gebot er Ruhe, und nachdem diese eingetreten war, sprach er in die klare Märznacht: »Bürger Grenobles! Ich werde Frankreich die Freiheit wiederbringen!« Ein Jubelsturm hinderte ihn am Weiterreden. Der kleine Mann blickte abgespannt in die Runde, winkte noch einmal; dann verschwand er hinter dem Vorhang.
    Die Menge begann sich zu zerstreuen, als wieder Rufe laut wurden. Die Stellmacher und Zimmerleute waren auf dem Platz angelangt, und mit vereinten Kräften trugen sie das aus seinen Verankerungen gerissene, mehrfach geborstene Stadttor und legten es vor dem Gasthaus ab. »Majestät!« riefen sie im Chor. »Wir bitten Euch, noch einmal herauszukommen!«
    Tatsächlich erschien Napoleon auf dem Balkon. »Majestät«, erklärte einer der Männer, »statt der Schlüssel Eurer guten Stadt Grenoble bringen wir Euch hiermit das Tor!«
    Am nächsten Morgen machten die führenden Repräsentanten Grenobles Napoleon ihre Aufwartung. Der Stadtrat erschien, Vertreter der Gerichtshöfe, die Geistlichkeit, einige Professoren und allen voran Bürgermeister Renauldon. Der Elba-Flüchtling empfing die Notabeln wie ein Kaiser seine Untertanen; nichts schien in der Zwischenzeit geschehen zu sein: keine Niederlage gegen die Alliierten, keine Abdankung samt Verbannung, keine Restauration des Königtums – hier saß der Herrscher Frankreichs. Lediglich feinere Ohren, wie etwa die Jacques-Josephs, bemerkten einen veränderten Tonfall. Napoleons Selbstherrlichkeit war offenbar erschüttert; zumindest machte er Zugeständnisse, die noch vor einem Jahr undenkbar gewesen wären. Er sprach von den Rechten des Volkes und erklärte, er sei zurückgekehrt, um dem Land Frieden und Freiheit zu geben und die Tyrannei das Adels zu brechen. Napoleon ließ sich sogar von einem Advokaten namens Joseph Rey vorhalten, er habe durch seinen Despotismus an sich selbst Verrat begangen, und er müsse dem Weltherrschaftsgedanken abschwören, der ihn und Frankreich ins Unglück gestürzt habe. Die Versammelten waren entsetzt über soviel Kühnheit, und alle erwarteten, daß der Kaiser den Redner hinauswerfen, wenn nicht gar einsperren lassen werde, doch Napoleon lächelte milde, ohne ihn freilich einer direkten Antwort zu würdigen.
    Jacques-Joseph war besonders erschüttert von dieser Nachgiebigkeit. Zwar hoffte auch er, daß Napoleon sich künftig mäßigen und die Interessen Frankreichs über seine eigenen stellen werde, zugleich aber stürzte er in einen Seelenzustand, in dem sich gläubige Menschen wiederfinden, wenn ihr Idol ebenjene Unfehlbarkeit einbüßt, ohne die aller Glaube seinen Sinn verliert. Ein Napoleon, der sich von einem Provinzadvokaten Vorhaltungen machen ließ, war nicht mehr Napoleon. Er taktiert nur, dachte Jacques-Joseph,denn er weiß, daß der Thron noch fern ist. Doch auch dieser Gedanke verstimmte ihn. Er erinnerte sich an die Prophezeiungen Fouriers: War das große Drama, das den Namen Napoleon trug, vielleicht schon ausgespielt, und er wurde jetzt bloß Zeuge des abschließenden Satyrspiels?
    Während Jacques-Joseph solchen Betrachtungen nachhing, schritt Napoleon in Begleitung Renauldons direkt auf ihn zu. »Monsieur«, sprach er ihn an, »ich suche einen fähigen Mann als Geheimsekretär, und Ihr Bürgermeister empfiehlt Sie mir wärmstens. Wären Sie bereit?«
    Diese Offerte verscheuchte alle düsteren Gedanken. Jacques-Joseph verneigte sich und sagte beglückt: »Es wäre mir eine Ehre, Sire.«
    »Schön. Wie war gleich Ihr

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