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Der Ramses-Code

Der Ramses-Code

Titel: Der Ramses-Code Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael Klonovsky
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und infrastrukturellen Betrachtungen; ohne eine radikale Hebung der materiellen Standards, erklärte er, sei am Nil kein Staat zu machen. Mittels eines Systems von tausend Schleusen würde er Ägyptens Zukunft sichern. Er sprach von einem Kanal, der Mittelmeer und Rotes Meer verbinden sollte; ein Projekt, welches offenbar bereits zu pharaonischen Zeiten in Angriff genommen worden sei, wieihm seine Ingenieure versichert hatten, die Reste eines solchen Verbindungsweges entdeckt zu haben meinten.
    Jean-François glaubte zu träumen. Wie wunderlich sich dieser Interessengleichklang vor dem Hintergrund völlig divergierender Motive ausnahm! Welch ein Glück, diesem Mann zu begegnen! Gesetzt, er würde sein wildes Vorhaben, Frankreich zurückzuerobern, in die Tat umsetzen, dann schienen ihm, Jean-François, sonnige Zeiten zu lachen. Man würde seine Bücher drucken, er würde nach Afrika reisen und bei der Reägyptisierung des Nillandes mitarbeiten. So also wurde Weltpolitik gemacht.
    Während ihm diese Gedanken im Kopf kreisten, hatte sich Napoleon wieder an den Tisch gesetzt, wühlte in Papieren und sprach mit Jacques-Joseph.
    Mein Bruder ist sein Privatsekretär, und ich werde sein Ägypten-Beauftragter, dachte Jean-François. Es war wie im Märchen. Aber was war der Preis?
    Napoleon rief ihn. Er trat an den Tisch.
    »Ich habe gerade mit Ihrem Bruder gesprochen«, sagte Bonaparte, »es ging um den beklagenswerten Zustand dieser Postille hier.« Er deutete mit der Hand auf die Ausgaben der Departementszeitung. »Ihr Bruder ist der Meinung, ich könnte Ihnen die Leitung dieses Blattes übertragen, Sie verstünden sich aufs Schreiben. Sie müssen die Redakteure nicht hinauswerfen, weil sie im letzten Jahr gar zu königstreu berichtet haben, solche Leute schreiben, was man ihnen befiehlt, und ich habe gelobt, den Regierungswechsel ohne Säuberungen zu bewerkstelligen. Einverstanden? Sie beziehen dafür natürlich ein Extra-Gehalt.«
    Merkwürdig, dachte Jean-François, erst druckt man mich jahrelang gar nicht, und jetzt soll ich auch noch eine Zeitung bekommen?
    »Es wird mir eine Ehre sein, Majestät«, sagte er, »ich danke Euch.«
    Napoleon nickte zufrieden und wandte sich an die Offiziere. Anscheinend war für ihn das Gespräch beendet. Aber Jean-François hatte noch etwas auf dem Herzen.
    »Sire, darf ich Euch etwas fragen?«
    Napoleon nickte zerstreut.
    »Damals bei den Pyramiden habt Ihr vor der Schlacht gegen die Mamelucken ausgerufen: ›Soldaten, vierzig Jahrhunderte blicken auf euch herab!‹«
    »So? Habe ich das?«
    »Denon hat es berichtet. Was mich interessiert, ist: Wie kamt Ihr auf 4000 Jahre?«
    Der kleine Mann überlegte kurz, dann antwortete er: »Ich habe es wohl aus der Luft gegriffen. Stimmt es nicht? Sind die Pyramiden noch älter?«
    »Ich weiß es nicht. Niemand weiß es.«
    »Nun, so finden Sie es heraus, Monsieur!«
    Er wandte sich wieder den Offizieren zu und bedeutete den Brüdern, sie könnten gehen.
    Am Mittag des darauffolgenden Tages ließ Napoleon seine Truppe auf dem Jardin de la Ville, dem zentralen Platz der Departmentshauptstadt, antreten: die treuen Bärenfellmützen von Elba, das Überläufer-Regiment La Bédoyère, die Infanteristen und Artilleristen der Grenobler Garnison. Dann nahm er ihre Parade ab. Wieder waren Tausende Menschen versammelt. Die Trommeln dröhnten, die Volksmenge stimmte die Marseillaise an, schließlich ging der Gesang in donnernden Rufen unter: »Es lebe der Kaiser! Es lebe die Freiheit! Nieder mit den Bourbonen!«
    Unmittelbar nach der Parade rückte Napoleon ab, um in zwei Tagesmärschen Lyon, die zweitgrößte Stadt Frankreichs, zu erreichen. Er hinterließ eine komplett verwaiste Garnison, denn beim Marsch auf Paris brauchte er jeden Mann.
    »Was meinst du, wird er es schaffen?« fragte Jean-François seinen Bruder, der noch in Grenoble bleiben mußte. »Eines ist sicher: Der König wird eine Armee gegen ihn schicken, um ihn aufzuhalten.«
    »Die Frage ist nur, ob sich französische Soldaten und Offiziere finden, die gegen ihn kämpfen«, entgegnete Napoleons frischgebackener Sekretär. »Es gibt im Grunde gar keine königlichen Truppen in Frankreich, sondern nur eine kaiserlicheArmee, die durch einen unglücklichen Zufall elf Monate unter falscher Flagge diente. Allen Ruhm verdankt die Armee ihm; nun sollen diese Soldaten einer Handvoll dahergelaufener adliger Offiziere gehorchen und auf den Kaiser schießen? Das werden sie nicht tun. Sie werden zu ihm

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