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Der Ramses-Code

Der Ramses-Code

Titel: Der Ramses-Code Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael Klonovsky
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welches in der Landessprache »Sairei« genannt worden sei – und das koptische Wort »schairi« bedeutet soviel wie Gaudium oder Fest. Ein weiteres Beispiel: Sowohl Plutarch als auch Diodor haben behauptet, daß Osiris »Der Vieläugige« bedeute – also: os = viel, iris = Auge –, und in der Tat heißt »osch« oder »os« auf koptisch viel. Das Auge des Osiris sei das Zeichen der Vorsehung, schreibt Plutarch; Osiris wohne nicht unter der Erde, sondern weit entfernt von dieser; wenn die Seelen der Menschen »erlöst in das ewige, unsichtbare, ruhige und heilige Reich hinübergehen, ist ihnen Osiris Führer und König«. Dazu bedurfte es offenbar vieler Augen. Vorausgesetzt, »iris« bedeutet tatsächlich Auge, wie im Griechischen.
    Unter den Holzköpfen am Collège – verzeih meine Respektlosigkeit – findet meine Theorie einer Sprachverwandtschaft Koptisch-Altägyptisch indes wenig Gegenliebe. Selbst Sacy will nichts davon hören. Er hält Koptisch für sonst etwas, nur nicht für ägyptisch, und ich schweige dazu, eingedenk Deines dringlichen Rates, mein Temperament zu zügeln.
    Natürlich ist es eine merkwürdige Vorstellung, daß sich das Altägyptische ausgerechnet durch das Christentum am Nil erhalten haben soll, aber ist die Geschichte nicht ein Kompendium von Merkwürdigkeiten? Ich schweige und arbeite emsig an meinem privaten koptischen Wörterbuch, ich durchforste Bücher und Handschriften nach arabisierten koptischen Worten und versuche, mich im Wirrsal der altorientalischen Dynastien zurechtzufinden. Ich lese Texte, die niemand mehr auch nur dem Sinn nach versteht, und empfinde ein unbeschreibliches Glücksgefühl dabei, mit ihren seit Jahrhunderten toten Verfassern zu sprechen.
    Lieber Jacques-Joseph, aber bei alledem fehlst Du mir sehr. Sei umarmt von Deinem gehorsamen Bruder, und grüße Frau Zoë herzlichst von mir.
    Dein »Ägypter«

13
    Auch die eifrigste Beschäftigung mit seinen Studien konnte Jean-François nicht von jenem nachhaltigen Eindruck ablenken, den die Frau mit dem Gletscherblick, die der Verkäufer mit »Madame Deschampes« angeredet hatte, hinterlassen hatte. Sie ging ihm einfach nicht aus dem Kopf. Ob im Unterricht bei Sacy oder daheim über seinen arabischen Texten, immer wieder ertappte er sich, nicht bei der Sache zu sein. Er war »zerstreut« – also, wenn er die Dinge an den Paris-Vorurteilen des Bruders maß, dem verderblichen Einfluß dieser vergnügungssüchtigen Metropole bereits erlegen. Aber wie lieblich diese Zerstreuung doch war! Mitunter schien es ihm, als sei dieses Gefühl der einzige Grund, um dessentwillen sich jede andere Anstrengung überhaupt erst lohne. Dannschämte er sich jedoch sofort solcher Gedanken und vergrub sich in seine Arbeit, bis das Bild von Madame Deschampes neuerlich vor sein geistiges Auge trat und den Studiosus in diffuse Traumzustände versetzte.
    Jean-François hatte also das Tuch gekauft, das ihr zu teuer gewesen war. Mit einem spontanen Entschluß, den er im nachhinein selbst nicht mehr recht verstand, hatte er seine Barschaft empfindlich reduziert, und nun besaß er ein Erinnerungsstück, das zwar nur noch in seiner Phantasie den Duft der kurzzeitigen Trägerin verströmte, ihm aber immerhin gute Dienste als Schulterwärmer leistete, wenn er abends am Schreibtisch saß. Dieser eine Satz, dieses »Was sagen Sie: Kleidet mich dieses Tuch?« klang noch immer in seinen Ohren. Er träumte davon, der Schönen noch einmal zu begegnen, mochte sie nun tatsächlich verheiratet sein oder nicht. Schließlich pfiffen die Spatzen von den Dächern, daß die Pariser Damen es mit der ehelichen Treue nicht so streng hielten. Viele hatten einen Liebhaber oder einen Begleiter, der auf diesen Status hinarbeitete. Selbst am Collège zirkulierten solche Geschichten. Allerdings mußte der Liebhaber der Dame seines Herzens etwas bieten; er mußte ihr Geschenke machen, sie mit der Kutsche abholen und ins Theater ausführen, am Wochenende eine Landpartie mit ihr veranstalten oder ihr Eintritt in die feine Gesellschaft verschaffen. Aber was hatte ein armer Student aus der Provinz zu bieten, der niemand in dieser Stadt kannte und dessen Barschaft bereits durch den Kauf eines Wolltuches aufs Existenzminimum schrumpfte?
    Jean-François seufzte und erhob sich vom Schreibtisch. Es war später Nachmittag. Sein Vermieter saß nebenan in seinem Arbeitszimmer und studierte die Lebensart der Kelten. Wieder befiel den Studenten jenes Gefühl von Verlorenheit, das seine

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