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Der Ramses-Code

Der Ramses-Code

Titel: Der Ramses-Code Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael Klonovsky
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Staubgeborenen unerhörtes Glück haben, Zeitgenossen jenes Halbgottes sein zu dürfen. Ich foppte ihn einmal deswegen, indem ich die Geschichte des Herrschers Antigonos I. zum besten gab, der, als ihn ein höfischer Lobhudler »Sohn der Sonne und Gott« nannte, zur Antwort gab: »Davon weiß mein Nachttopfträger nichts.« Er konnte darüber nicht lachen. Kein Heiligenverehrer kann über sein Idol lachen.
    Ansonsten verhält sich das gelehrte Personal hier dem Kaiser gegenüber eher reserviert, denn Napleon schätzt weder das Collège noch seine Arbeit – angeblich spricht er abschätzig von uns, nennt unser Metier die »gegenstandslosen Wissenschaften« und würde das Collège am liebsten schließen. Indirekt ist er auf dem besten Wege dahin, denn ein Student nach dem anderen wird eingezogen. Ich bin in großer Sorge, daß es bald auch mich trifft.
    Gottlob haben wir derzeit offiziell Frieden, aber wie lange wird er halten? Immerhin sind unsere Truppen eben durch Spanien marschiert und haben Portugal besetzt. Was, wenn Napoleon England angreift oder, wie man hier munkelt, auch Spanien besetzen will, weil es die Kontinentalsperre nicht einhält? Dann braucht er wieder Zehntausende junger Männer. Verstehe mich recht, ich bin kein Feigling, wenn mich das Vaterland zu den Waffen ruft, werde ich dem Schreibtisch den Rücken kehren, aber das Vaterland leidet derzeit keine Not, keine feindliche Koalition bedroht uns wie 1792 oder meinetwegen auch 1805. Aber soll ich meine Knochen dafür herhalten, daß Napoleon auch noch über England herrschen will? Ich weiß, Du bist anderer Meinung als ich, Du vergötterst ihn, weil er Frankreich so groß gemacht hat wie noch nie in unserer Geschichte. Was aber, wenn er den Bogen überspannt? Besteht Frankreichs Größe darin, daß unsere Truppen in London stehen? Wir wissen nicht viel vom Reich der Pharaonen, aber zwei Dinge wissen wir: daß es Jahrtausende überdauerte und daß es offenbar keine Ambitionen verspürte, sein Gebiet ständig zu vergrößern. Könnte es nicht sein, daß zwischen diesen beiden Tatbeständen ein Zusammenhang existiert? Ist Frankreich nicht groß genug? Wie ich Dich kenne, würdest Du jetzt mit den Römern kontern, doch gemessen an Ägyptens Dauer war das Imperium Romanum nur ein Intermezzo, zur Auflösung bestimmt von jenem Zeitpunkt an, da es seine Grenzen überdehnte.
    Es gibt hier gelegentlich literarische Soireen und Plauderabende bei dem einen oder anderen Gelehrten (außer Sacy, der empfängt üblicherweise niemanden), aber mich Sonderling hat man noch nicht eingeladen. Ich habe statt dessen eine gänzlich unerwartete Freundschaft geschlossen. Es handelt sich um einen skurrilen Herren Mitte Vierzig, er heißt Dom Raphaël und ist – höre und staune! – Kopte. Ein richtiger Kopte! Dom Raphaël war Mönch in Ägypten und ist 1801 mit unserer Armee nach Paris gekommen, denn den ägyptischen Christen mangelt es in der muslimischen Heimat so ziemlich an allem. Napoleon, dem er während desÄgyptenfeldzuges wohl wichtige Dienste leistete, hat ihn als Lehrer des Vulgärarabischen an die Schule für orientalische Sprachen berufen. Wir kamen ins Gespräch, als ich in der kaiserlichen Bibliothek nach koptischen Manuskripten suchte. Wie du weißt, ist Koptisch seit ein paar Jahrhunderten ausgestorben und existiert nur noch als kirchliche Liturgiesprache; selbst »mein« Kopte spricht kaum Koptisch, sondern kennt eben nur eine Reihe von Worten und religiöse Formeln, aber diese Reste – das ist meine feste Überzeugung – verkörpern die Brücke zum Altägyptischen. Freilich empfinde ich schmerzlich die völlige Unzulänglichkeit meiner Mittel, wenn ich mich diesem uralten Idiom nähere. Es existieren lediglich Wortverzeichnisse, sachlich geordnet, sowie rudimentäre Grammatiken, mit denen sich wenig anfangen läßt; wie die Sprache an sich einst funktionierte, kann ich mir nur mühsam zusammenreimen. Dennoch: Ich muß jedes koptische Wort kennen, bevor ich mich an die Hieroglyphen heranwage. Mitunter ertappe ich mich dabei, daß ich koptisch mit mir spreche.
    Ich stoße immer wieder auf Indizien, daß ich mit meiner Theorie, im Koptischen seien Teile des Altägyptischen verborgen, nicht ganz falsch liege. So schreibt Plutarch, der Efeu habe bei den alten Ägyptern »chen-osiris«, Pflanze des Osiris, geheißen – und »schen« bedeutet auf koptisch Baum. Schen-en-usiri heißt somit »Baum des Osiris«. Plutarch berichtet von einem ägyptischen Fest,

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