Der Raritätenladen
angeklebt, zu einem doppel
ten Zwecke, wie es schien: einmal nämlich, um ein Zeugnis von der Vortrefflichkeit der Schule zu geben, und dann, um einen edlen Ehrgeiz in den Herzen der Schüler zu entzünden.
»Ja«, sagte der alte Schulmeister, als er bemerkte, daß diese Proben Nells Aufmerksamkeit auf sich zogen, »das ist eine schöne Schrift, meine Liebe.«
»Sehr schön, Sir«, versetzte das Mädchen bescheiden, »ist es die Ihrige?«
»Meine!« entgegnete er, indem er die Brille herauszog und aufsetzte, um die seinem Herzen so teuern Triumphe besser betrachten zu können. »Nein, ich kann in meinen alten Tagen nicht mehr so schreiben, ich nicht. Sie rühren alle von ein und derselben Hand her, und zwar von einer kleinen Hand, nicht so alt wie die deinige, aber einer sehr geschickten.«
Da der Schulmeister, während er sprach, einen kleinen Tintenklecks auf einer der Schriften bemerkte, nahm er ein Federmesser aus seiner Tasche, trat an die Wand und radierte ihn sorgfältig aus. Sobald er damit fertig war, trat er langsam von dem Blatte zurück und bewunderte es, wie man etwa ein schönes Gemälde zu betrachten pflegt; aber doch lag dabei eine gewisse Trauer in seiner Stimme und in seinem Benehmen, die das Kind ergriff, obgleich es deren Ursache nicht kannte.
»Ja, ja, eine kleine Hand«, sagte der arme Schulmeister. »Er ist seinen Kameraden weit voraus im Lernen und im Spiel; wie kam er doch nur dazu, mich so gern zu haben! Daß ich ihn liebe, ist kein Wunder, aber daß er mich liebt …«
Der Schulmeister hielt inne und nahm seine Brille ab, um sie abzuwischen, als ob sie trübe geworden wäre.
»Ich hoffe, es ist nichts Unangenehmes vorgefallen, Sir?« fragte Nell besorgt.
»Nicht viel, meine Liebe«, versetzte der Schulmeister. »Ich hoffte, ihn heute abend auf der Wiese draußen zu sehen. Er
war immer der erste unter ihnen. Aber er wird morgen dort sein.«
»Ist er krank gewesen?« fragte Nell mit dem raschen Mitgefühl eines Kindes.
»Nicht sehr; es heißt, der liebe Knabe habe gestern irre geredet, und man sagt, er habe es auch vorgestern getan. Doch das kommt gewöhnlich bei derartigen Krankheiten vor; es ist kein böses Zeichen, durchaus kein böses Zeichen.«
Nell schwieg. Der Schulmeister ging zur Tür und sah sehnsüchtig hinaus. Die Schatten der Nacht zogen herauf, und alles war still.
»Ich weiß, er würde zu mir kommen, wenn er sich nur auf den Arm irgendeines Menschen lehnen könnte«, sagte er in das Zimmer zurückkehrend. »Er kam immer in den Garten, um mir gute Nacht zu sagen. Aber vielleicht hat seine Krankheit eben erst eine günstige Wendung genommen, und nun ist es zu spät für ihn, herauszukommen, denn es ist bereits feucht und neblig. Jedenfalls ist es viel besser, wenn er heute zu Hause bleibt.«
Der Schulmeister zündete eine Kerze an, machte den Fensterladen zu und schloß die Tür. Dann blieb er eine Weile stumm sitzen, bis er endlich seinen Hut vom Nagel nahm und sagte, er wolle hingehen und sich selbst überzeugen, wenn Nelly aufbliebe, bis er zurückkomme. Das Kind erklärte sich bereit, und der Schulmeister ging fort.
Sie saß eine halbe Stunde oder noch länger da, und das Haus kam ihr sehr fremd und einsam vor, denn sie hatte den alten Mann bewogen, zu Bett zu gehen, und man hörte nichts als das Ticken der alten Wanduhr und das Pfeifen des Windes zwischen den Bäumen. Als der Schulmeister wieder zurückkehrte, setzte er sich in die Kaminecke und blieb lange ganz stumm. Endlich wandte er sich an das Mädchen und sagte
mit sanfter Stimme, er hoffe, sie werde heute nacht in ihrem Gebete auch eines kranken Kindes gedenken.
»Mein Lieblingsschüler!« sagte der arme Schulmeister, indem er an seinem Pfeifchen sog, das er anzuzünden vergaß, und traurig auf die Wände blickte. »Die Hand ist wirklich zu klein, um alles das geschrieben zu haben, und nun soll sie auch noch von der Krankheit verzehrt werden. Es ist eine sehr, sehr kleine Hand!«
Fünfundzwanzigstes Kapitel
Nach einer gesunden Nachtruhe in einer Kammer unter dem Strohdach, in welcher der Totengräber einige Jahre gewohnt zu haben schien, bis er sie um eines Weibes und eines eignen Häuschens willen vor kurzem verlassen hatte, stand das Kind am frühen Morgen auf und ging in die Stube hinunter, in der es am Abend vorher das Nachtmahl eingenommen hatte. Da der Schulmeister gleichfalls schon aus den Federn und ausgegangen war, so gab sie sich Mühe, die Stube nett und behaglich zu machen, und war gerade
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