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Der Raritätenladen

Der Raritätenladen

Titel: Der Raritätenladen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Charles Dickens
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Pilger auf und ab, ungewiß, wen sie um ein bescheidenes Nachtquartier ansprechen sollten. Nur ein einziger alter Mann befand sich in dem kleinen Garten vor seinem Häuschen, und sie scheuten sich, zu ihm zu gehen, denn er war der Schulmeister, und auf einem weißen Brett über seinem Fenster stand mit schwarzen Buchstaben das Wort ›Schule‹. Der Mann sah blaß, schlicht und mager aus, saß in dem kleinen gedeckten Gang vor seiner Tür unter Blumen und Bienenstöcken und rauchte seine Pfeife.
    »Rede ihn an, meine Liebe!« flüsterte der alte Mann.
    »Ich getraue mich kaum, ihn zu stören«, versetzte das Mädchen furchtsam. »Er scheint uns nicht zu sehen. Wenn wir noch ein wenig warten, so schaut er vielleicht hierher.«
    Sie warteten, aber der Schulmeister sah sich nicht nach ihnen um, sondern blieb stumm und gedankenvoll in seinem kleinen Vorbau sitzen. Er hatte ein gutmütiges Gesicht, und sein einfacher, alter, schwarzer Anzug ließ ihn nur noch blas
ser und magerer erscheinen. Auch kam es ihnen vor, als umgäbe ihn und sein Haus ein Hauch von tiefer Einsamkeit, was aber vielleicht nur darin seinen Grund hatte, daß die andern Leute eine lustige Gesellschaft bildeten und sich auf dem Rasen umhertrieben und er der einzige einsame Mann im ganzen Orte zu sein schien.
    Sie waren sehr müde, und das Kind hätte wohl Kühnheit genug gehabt, sogar einen Schulmeister anzureden, wenn er nicht etwas an sich gehabt hätte, das auf Unruhe oder Kummer hinzudeuten schien. Während sie so in kleiner Entfernung zögernd dastanden, bemerkten sie, daß er minutenlang in ein finsteres Brüten zu versinken schien; dann legte er seine Pfeife weg, tat ein paar Schritte in seinen Garten, näherte sich der Tür und sah nach dem Rasen hinaus; darauf griff er mit einem Seufzer wieder nach seiner Pfeife und setzte sich wie früher gedankenvoll nieder.
    Da sonst niemand erschien und es bereits dunkel wurde, so faßte Nell endlich Mut und wagte es, als sich der Schulmeister eben gesetzt und seine Pfeife wieder aufgenommen hatte, mit ihrem Großvater an der Hand näher zu kommen. Das leichte Geräusch, das sie beim Niederdrücken der Gartentürklinke verursachten, erregte seine Aufmerksamkeit. Er sah ihnen freundlich entgegen, schien aber jemand anders erwartet zu haben, denn er schüttelte leicht den Kopf.
    Nell machte einen Knicks und sagte ihm, sie wären arme Reisende und suchten eine Nachtherberge, die sie gern bezahlen wollten, soweit es ihre Mittel gestatteten. Der Schulmeister sah sie, während sie sprach, ernst an, legte dann seine Pfeife beiseite und stand sogleich auf.
    »Wenn Sie uns einen Ort empfehlen wollen, Sir«, sagte das Kind, »so würden wir sehr froh und dankbar sein.«
    »Ihr kommt wohl schon weit her?« entgegnete er.
    »Oh, sehr weit, Sir«, antwortete das Kind.
    »Du bist noch ziemlich jung fürs Umherwandern, mein Kind«, sagte er, indem er seine Hand sanft auf ihren Kopf legte. »Ihre Enkelin, mein Freund?«
    »Ja«, rief der alte Mann, »und die Stütze und der Trost meines Lebens!«
    »Kommt herein!« sagte der Schulmeister.
    Ohne weitere Einleitung führte er sie in seine kleine Schulstube, die zugleich Wohnzimmer und Küche war, und sagte ihnen, sie wären bis morgen unter seinem Dache willkommen. Ehe sie ihm noch danken konnten, breitete er ein grobes weißes Tuch über den Tisch und legte Messer und Teller auf; dann brachte er etwas Brot und kaltes Fleisch nebst einem Krug Bier hervor und forderte seine Gäste auf, zu essen und zu trinken.
    Nell sah sich, während sie ihren Sitz einnahm, in der Stube um. Da gab es ein paar Bänke, eingekerbt, zerschnitten und über und über mit Tinte besudelt, ein kleines tannenes Pult auf vier Füßen, an dem ohne Zweifel der Schulmeister saß, einige mit Eselsohren versehene Bücher auf einem hohen Gesimse und außerdem noch ein buntes Durcheinander von Kreiseln, Bällen, Papierdrachen, Angelruten, Marbeln, halbverzehrten Äpfeln und sonstigem konfiszierten Eigentum der müßiggängerischen Knirpse. An Haken in der Mauer prangten in all ihrem Schrecken der Stock und das Lineal und neben ihnen auf einem eichenen kleinen Gesimse die aus alten Zeitungen gefertigte und mit einem Paar großer Oblaten verzierte Eselskappe. Der Hauptschmuck der Wände bestand jedoch aus zahlreichen schön geschriebenen Sprüchen und wohl ausgearbeiteten Rechenexempeln der einfachen Addition und Multiplikation, augenscheinlich durch dieselbe Hand ausgeführt; sie waren im Zimmer rundumher

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