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Der Raritätenladen

Der Raritätenladen

Titel: Der Raritätenladen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Charles Dickens
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mit dem Aufräumen fertig geworden, als ihr freundlicher Wirt zurückkehrte.
    Er dankte ihr oftmals dafür und sagte, die alte Frau, die gewöhnlich derartige Dienste für ihn verrichte, pflege nun den kleinen Schüler, von dem er gestern gesprochen habe. Das Kind fragte, wie es diesem ginge, und sprach die Hoffnung aus, er wäre schon wohler.
    »Nein«, versetzte der Schulmeister, bekümmert den Kopf schüttelnd, »nicht besser, es heißt sogar, er befinde sich schlechter.«
    »Das tut mir recht leid, Sir«, entgegnete das Kind.
    Der arme Schulmeister schien sich über die aufrichtige Teil
nahme des Mädchens zu freuen, aber doch auch wieder unruhig darüber zu werden, denn er fügte hastig hinzu, ängstliche Leute vergrößerten oft ein Übel und nähmen es gern für gefährlicher, als es in Wahrheit wäre.
    »Ich für meinen Teil«, sagte er in seiner ruhigen, geduldigen Weise, »hoffe, daß es nicht so ist, wie man sagt. Ich glaube nicht, daß es schlimmer mit ihm geworden sein kann.«
    Nelly fragte, ob sie ihm nicht das Frühstück bereiten solle, und da ihr Großvater inzwischen heruntergekommen war, frühstückten sie alle gemeinsam. Während ihrer kleinen Mahlzeit machte der Hauswirt die Bemerkung, daß der alte Mann sehr ermüdet zu sein scheine und offenbar noch der Ruhe bedürfe.
    »Wenn Sie eine lange Reise vorhaben«, sagte er, »und es dabei nicht auf einen Tag ankommt, können Sie von Herzen gern noch eine Nacht hier zubringen. Es würde mich in der Tat recht freuen, wenn Sie es so einrichten könnten, mein Freund.«
    Er bemerkte, daß der alte Mann auf Nell sah und augenscheinlich unschlüssig war, ob er das Anerbieten ablehnen oder annehmen solle, weshalb er fortfuhr:
    »Auch wird es mich freuen, Ihre junge Begleiterin noch einen Tag bei mir zu beherbergen. Sie können damit einem einsamen Mann eine Wohltat erweisen und zu gleicher Zeit auch selbst der Ruhe pflegen. Hat es aber mit Ihrer Reise Eile, dann wünsche ich Ihnen alles Gute auf den ganzen Weg; auch will ich Sie eine kleine Strecke begleiten, ehe die Schule anfängt.«
    »Was sollen wir tun, Nell?« fragte der alte Mann unentschlossen; »sage, was sollen wir tun, meine Liebe?«
    Es kostete keine große Überredung, das Kind zu der Antwort zu veranlassen, daß sie besser tun würden, die Einladung anzunehmen und zu bleiben. Nell war glücklich, dem freund
lichen Schulmeister ihre Dankbarkeit bezeigen zu können, indem sie die häuslichen Arbeiten verrichtete, die seine Wirtschaft erforderte. Sobald sie mit diesen fertig war, nahm sie etwas Nähzeug aus ihrem Körbchen und setzte sich auf einen Stuhl am Fenster, vor dem Jasmin und Geißblatt ihre zarten Zweige ineinander verschlangen und, in das Fenster hereinrankend, das Gemach mit ihrem köstlichen Dufte erfüllten. Ihr Großvater saß draußen in der Sonne, atmete den Wohlgeruch der Blüten und sah müßig den Wolken nach, wie sie vor dem leichten Sommerwinde dahinschwammen.
    Nachdem der Schulmeister die zwei Bänke auf ihren Platz gerückt hatte, setzte er sich hinter sein Pult und traf noch andere Vorbereitungen für die Schule, so daß Nell fürchtete, sie möchte im Wege sein, und sich daher in ihr kleines Schlafkämmerchen zurückziehen wollte. Aber das gab er nicht zu, und da ihm ihre Gegenwart angenehm zu sein schien, blieb sie mit ihrer Arbeit im Zimmer.
    »Haben Sie viele Schüler, Sir?« fragte sie.
    Der arme Schulmeister schüttelte den Kopf und sagte, daß sie kaum die zwei Bänke füllten.
    »Sind die andern auch gescheit, Sir?« fragte das Kind mit einem Blick nach den Trophäen an der Wand.
    »Es sind gute Jungen«, antwortete der Schulmeister, »ganz wackere Jungen, meine Liebe; aber so weit werden sie es nie bringen.«
    Während der Schulmeister sprach, zeigte sich ein weißköpfiger Knabe mit sonnverbranntem Gesicht an der Tür, blieb stehen, um einen bäurischen Kratzfuß zu machen, kam herein und nahm seinen Sitz auf einer der Bänke ein. Er legte sodann ein offenes, mit erstaunlich vielen Eselsohren versehenes Buch auf seine Knie, steckte die Hände in seine Taschen und begann die Marbeln, mit denen sie vollgestopft waren, zu zäh
len; dabei offenbarte sein Gesicht eine ganz wunderbare Fähigkeit, seinen Geist total von den Buchstaben, auf die seine Augen geheftet waren, abzuziehen. Bald nachher kam ein anderer weißköpfiger Junge angestiegen, dem sofort ein rothaariger Bursche folgte; dann erschienen wieder zwei weitere Weißköpfe und dann einer mit Flachshaaren, und

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