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Der Raritätenladen

Der Raritätenladen

Titel: Der Raritätenladen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Charles Dickens
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Raubes und Betrugs; und eine alte Dame, als sie fand, daß nichts den friedliebenden Schulmeister zu reizen oder zu entflammen vermochte, stürzte aus seinem Hause hinaus und sprach über ihn vor seinem Fenster mit einer andern alten Dame, indem sie sagte, er müsse sich natürlich für diesen halben Vakanztag einen Abzug von seinem Wochengehalt gefallen lassen oder er habe ebenso natürlich eine Konkurrenz zu gewärtigen; es sei kein Mangel an müßigen Schluckern in der Nachbarschaft – hier erhob die Alte ihre Stimme – und einige Schlucker, die sogar zu faul wären, um Schulmeister zu sein, dürften wohl bald finden, daß ihnen andere Schlucker über die Köpfe wüchsen; und sie würde ihnen raten, gut achtzugeben und sich vorzusehen. Aber all diese Verhöhnungen und Kränkungen waren nicht imstande, auch nur eine Silbe aus dem demütigen Schulmeister herauszulocken, der an Nells Seite saß, etwas niedergeschlagen vielleicht, aber ganz still und ohne sich zu beklagen.
    Gegen Abend humpelte ein altes Weib so schnell, wie sie konnte, den Garten herauf und sagte zu dem Schulmeister, den sie an der Tür traf, er solle gleich zu Frau West kommen und er werde wohl am besten tun, wenn er gleich vorauseile. Er wollte eben mit Nell einen Spaziergang machen, und ohne ihre Hand freizugeben, eilte er davon und überließ es der Botin, nach Belieben nachzukommen.
    Sie hielten an der Tür eines Bauernhauses, an die der Schulmeister sanft mit dem Finger pochte. Sie wurde fast gleich darauf geöffnet. Beide traten nun in eine Stube, in der sich eine kleine Weibergruppe um eine Frau scharte, die älter als die übrigen war und die unter Weinen und Schluchzen bitterlich die Hände rang.
    »Ach, Frau«, sagte der Schulmeister, indem er sich dem
Stuhle näherte, auf dem die bekümmerte Alte saß, »steht es denn wirklich so schlecht?«
    »Es geht schnell mit ihm«, rief die alte Frau; »mein Enkel liegt im Sterben, und Ihr seid schuld daran! Ihr hättet ihn nicht mehr sehen sollen, wenn er es nicht so ernstlich verlangt hätte. So weit hat ihn seine Lernerei gebracht. Ach Himmel, Himmel, Himmel, was kann ich tun!«
    »Sagt doch nicht, daß ich die geringste Schuld habe!« entgegnete der sanfte Schulmeister. »Doch Ihr beleidigt mich nicht, Frau, nein, nein. Ihr seid verzweifelt und meint es nicht so schlimm mit Euren Worten, gewiß, es kann nicht sein!«
    »Ja, ich meine es so«, erwiderte die alte Frau; »ich meine alles so, wie ich es gesagt habe. Hätte er nicht aus Furcht vor Euch immer hinter seinen Büchern gesessen, ich weiß, er wäre jetzt gesund und lustig.«
    Der Schulmeister ließ seine Blicke über die andern Weiber gleiten, als bäte er eine oder die andere, ein freundliches Wort für ihn zu sprechen; aber die schüttelten die Köpfe und flüsterten einander zu, sie hätten nie geglaubt, daß viel Gutes beim Lernen herauskomme, und jetzt hätten sie den Beweis dafür. Ohne ein Wort zu erwidern oder ihre Härte durch einen Blick zu rügen, folgte er der alten Frau, die ihn geholt hatte und jetzt gleichfalls hereingekommen war, in ein anderes Zimmer, in dem sein jugendlicher Freund halb angekleidet auf einem Bette ausgestreckt lag. Er war noch sehr jung, eigentlich ein kleines Kind. Die Haare hingen ihm in Locken um das Gesicht, und seine Augen leuchteten, aber es war ein überirdischer Glanz in ihnen. Der Schulmeister setzte sich an seiner Seite nieder, beugte sich über das Kissen und flüsterte seinen Namen. Der Knabe fuhr auf, streichelte ihm das Gesicht, schlang seine abgezehrten Arme um seinen Hals und rief, daß er sein einziger gütiger Freund sei.
    »Ich hoffe, daß ich es immer war. Gott weiß, daß ich es wenigstens sein wollte«, sagte der arme Schulmeister.
    »Wer ist das?« fragte der Knabe, als er Nell bemerkte. »Ich fürchte mich, sie zu küssen, weil sie sonst auch krank werden könnte. Bittet sie, daß sie mir ihre Hand reicht.«
    Nelly kam schluchzend näher und ergriff die kleine schlaffe Hand. Nach einer Weile machte sich der kranke Knabe wieder los und legte sich sanft nieder.
    »Erinnerst du dich noch an den Garten, Harry«, flüsterte der Schulmeister, um den Knaben zu sich zu bringen, da ein Zustand von Betäubung sich seiner zu bemächtigen schien, »und wie schön es dort am Abend war? Du mußt machen, daß du ihn bald wieder besuchen kannst, denn ich glaube, sogar die Blumen haben dich vermißt und sind nicht mehr so bunt wie sonst. Du kommst bald, mein Lieb, sehr bald nun, nicht

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