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Der Raritätenladen

Der Raritätenladen

Titel: Der Raritätenladen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Charles Dickens
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Wochen in seiner Wohnung noch immer nicht geneigt war, durch Worte oder Gebärden mit Herrn Braß und seiner Schwester in Verbindung zu treten, sondern unabänderlich Richard Swiveller als Kommunikationsröhre wählte, und da er sich ferner in jeder Hinsicht als ein höchst wünschenswerter Hausgenosse erwies, alles im voraus bezahlte, sehr wenig Mühe veranlaßte, keinen Lärm machte und früh nach Hause kam, nahm Herr Richard Swiveller unmerklich eine bedeutsame Stellung in der Familie ein, indem man ihn als einen Mann betrachtete, der Einfluß auf diesen geheimnisvollen Mieter hatte und mit ihm über Gut und Böse verhandeln konnte, wenn niemand anders sich seiner Person nahen durfte.
    Um jedoch die Wahrheit zu sagen: selbst Herrn Swivellers Annäherungen an den ledigen Herrn waren sehr gemessener Art und erfuhren eine gar geringe Ermutigung. Da er jedoch nie von seiner einsilbigen Unterhaltung mit dem Unbekannten zurückkehrte, ohne sich auf Ausdrücke zu beziehen, wie: ›Swiveller, ich weiß, daß ich mich auf Sie verlassen kann‹ – ›Ich nehme keinen Anstand, zu sagen, Swiveller, daß ich große Achtung vor Ihnen hege‹ – ›Swiveller, Sie sind mein Freund, und ich bin überzeugt, daß Sie mir zur Seite stehen werden‹, und noch viele andere kurze Redensarten ähnlicher familiärer und vertraulicher Weise, die der ledige Herr gegen ihn geäußert haben und aus denen der gewöhnliche Anfang ihres Gespräches bestehen sollte, so bezweifelten Herr Braß und Miß Sally keinen Augenblick die Größe seines Einflusses, sondern schenkten ihm vollsten und unbedingtesten Glauben.
    Aber ganz abgesehen und unabhängig von dieser Quelle seiner Beliebtheit, sprudelte für Herrn Swiveller noch eine ande
re, von der sich hoffen ließ, daß sie gleich unversiegbar werden und seine Lage beträchtlich erleichtern könne.
    Er hatte nämlich Gnade in den Augen von Miß Sally Braß gefunden. Leichtsinnige Spötter über weiblichen Zauber freilich mögen nicht die Ohren spitzen, um eine neue Liebesgeschichte zu hören, die ihnen doch nur Anlaß zum Scherze geben würde; denn wie sehr auch Miß Braß geschaffen war, um geliebt zu werden, so hatte sie doch durchaus nichts Sentimentales an sich. Dieser liebenswürdigen Jungfrau, die sich von frühester Jugend an die Schöße der Jurisprudenz geklammert, mit deren Hilfe gleichsam laufen gelernt und sie seitdem nicht wieder losgelassen hatte, war das Leben in einer Art juristischer Kindheit hingeschwunden. Als zartes Kind hatte sie sich durch ihr ungewöhnliches Talent ausgezeichnet, den Gang und die Gebärden des Gerichtsdieners nachzuäffen, in welcher Rolle sie auch gelernt hatte, ihre kleinen Spielgefährten auf die Schultern zu klopfen und sie nach einem imaginären Schuldturme zu führen. Dabei ahmte sie jede Bewegung so genau nach, daß sie bei allen, die Zeugen ihrer Vorstellungen waren, Erstaunen und Entzücken erregte; und diese Leistung wurde nur durch die exquisite Weise übertroffen, in der sie in ihrer Puppenstube Exekution abhielt und ein genaues Inventar der Stühle und Tische aufnahm. Diese unschuldigen Spiele hatten natürlich den Lebensabend ihres verwitweten Vaters, eines exemplarischen Herrn, der von seinen Freunden wegen seines außerordentlichen Scharfsinns nur ›das alte Füchschen‹ genannt wurde, sanft und heiter gemacht; er ermutigte sie nach Kräften, und seine Hauptsorge, als es mit ihm dem Houndsditch-Kirchhofe immer näher ging, bestand nur darin, daß er seiner Tochter kein Advokatenpatent auswirken und sie nicht in die Liste eintragen lassen konnte. Voll von diesem zärtlichen und rührenden Schmerz, hatte er sie feierlichst seinem
Sohn Sampson als eine unschätzbare Gehilfin anempfohlen; und seit dem Ableben des alten Herrn bis zu jenen Tagen, von denen unsere Geschichte erzählt, war Miß Sally Braß die Stütze und der Pfeiler des Geschäfts.
    Da sich die Dame von Kindheit an nur diesem einen Studium und Streben geweiht hatte, ist es klar, daß sie von der Welt nicht mehr wußte, als ihr das Rechtsstudium vermittelt hatte, und daß sich auch von einem Weibe, das einer so hohen Geistesrichtung folgte, eine Erfahrung in jenen sanfteren und edleren Künsten, in denen sich das weibliche Geschlecht gewöhnlich auszeichnet, kaum erwarten läßt. Miß Sallys Vorzüge waren alle von männlicher und streng juristischer Art. Sie begannen und endigten mit der Praxis eines Anwalts. Die Dame befand sich sozusagen in einem Zustand juristischer Unschuld.

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